Weiter zum Inhalt

Die Rechtshermeneutik der Tempelrolle (11QTa)


Seiten 159 - 175

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.13.2007.0159




München

1 Für Text und Kommentar von 11 QTa siehe die editio princeps von Y. Yadin, The Temple Scroll, Bd. II: Text and Commentary, Jerusalem 1983, sowie die Textausgabe von E. Qimron, The Temple Scroll. A Critical Edition with Extensive Reconstructions and a Bibliography by F. García Martínez, Judean Desert Studies, Jerusalem 1996. Für 11 QTb siehe F. García Martínez, 11 QTempleb. A Preliminary Publication, in: J. Trebolle Barrera/L. Vegas Montaner (Hg.), The Madrid Qumran Congress. Proceedings of the International Congress on the Dead Sea Scrolls, StTDJ 11, Leiden/New York 1992, 363–391. Pl. 9–15.

2 Siehe dazu L. H. Schiffman, The Deuteronomic Paraphrase of the Temple Scroll, RdQ 15, 1992, 543–567, sowie zuletzt M. Zahn, New Voices, Ancient Words: The Temple Scroll's Reuse of the Bible, in: J. Day (Hg.), Temple and Worship in Biblical Israel, LHB/OTS 422, London/New York 2005, 435–458.

3 Siehe Y. Yadin, The Temple Scroll, Bd. I: Introduction, Jerusalem 1983, 71; cf. auch a.a.O., 406f.

4 Für die exegetisch-schriftgelehrten Methoden, die in der Tempelrolle zur Anwendung kommen, siehe M. J. Bernstein/S. A. Koyfman, The Interpretation of Biblical Law in the Dead Sea Scrolls: Forms and Methods, in: M. Henze (Hg.), Biblical Interpretation at Qumran, Studies in the Dead Sea Scrolls and Related Literature, Grand Rapids/Cambridge U.K. 2005, 61–87. Zahlreiche dieser Methoden lassen sich bis auf die Literaturgeschichte des nachexilischen Pentateuch der persischen Zeit zurückverfolgen. Da es in diesem Beitrag um die Aspekte der Rechtshermeneutik geht, die schriftgelehrte Auslegungstechnik von einzelnen Rechtssätzen aber nur mittelbar mit der rechtshermeneutischen Grundkonzeption vom Pentateuch und Tempelrolle vermittelt sind, gehen wir auf die auslegungstechnische Seite an dieser Stelle nicht weiter ein. Dieses Thema wird an anderer Stelle ausführlich behandelt werden.

5 Zur Tempelrolle als direkter göttlicher Offenbarung im Gegensatz zum Deuteronomium als mosaisch vermittelter Rede siehe oben sowie H. Schiffman, The Theology of the Temple Scroll, JQR 85, 1994, 109–123; D. D. Swanson, The Temple Scroll and the Bible. The Methodology of 4QT, StTDJ 14, Leiden/New York 1995, 6f.; vgl. ferner B. A. Levine, The Temple Scroll. Aspects of its Historical Provenance and Literary Character, BASOR 232, 1978, 17–21.

6 Siehe M. Zahn, New Voices (LHB/OTS 422), 452.

7 Siehe B. M. Levinson, The Hermeneutics of Legal Innovation, New York/Oxford 1997. Siehe dazu E. Otto, Biblische Rechtsgeschichte als Fortschreibungsgeschichte, BiOr 56, 1999, 5–14.

8 Siehe M. Segal, Between Bible and Rewritten Bible, in: M. Henze (Hg.), Biblical Interpretation at Qumran, Studies in the Dead Sea Scrolls and Related Literature, Grand Rapids 2005, (10–28) 27.

9 Siehe M. Segal, a.a.O., 11.

10 Siehe dazu L. Wilson/A. Wills, Literary Sources of the Temple Scroll, HThR 75, 1982, 275–288; M. O. Wise, A Critical Study of the Temple Scroll from Qumran Cave 11, SAOC 49, Chicago 1990.

11 Siehe dazu M. Zahn, Schneiderei oder Weberei? Zum Verständnis der Diachronie der Tempelrolle, RdQ 77, 2001, 255–286, mit weiterer Literatur.

12 Dagegen wollen L. Wilson/A. Wills eine Quelle „Laws of Polity“ umgearbeiteter Deuteronomiumstexte in TR Kol. 51:11–56:21; 60–66 von einem Königsgesetz in TR Kol. 57–59, M. O. Wise eine Deuteronomiumsquelle in TR Kol. 2; 48:1–10a; 51:11–56:21; 60:12–64:6a; 64:13b-66 mit zahlreichen redaktionellen Zusätzen von einer als „Midrash to Deuteronomy Source“ in TR Kol. 57:1–59:21; 60:2–11; 64:6b-13a abheben. L. H. Schiffman (Deuteronomic Paraphrase [RdQ 15], 543ff.) hält dagegen M. O. Wises Deuteronomiumsquelle für endredaktionell.

13 In der Frage, in welcher Texttradition das Deuteronomium den Autoren der Tempelrolle vorgelegen habe, sind die Fragmente von bislang 34 identifizierten Deuteronomiums-Manuskripten in Qumran (Siehe dazu U. Dahmen, Neu identifizierte Fragmente in den Deuteronomiums-Handschriften vom Toten Meer, RdQ 77, 2001, 571–581) nur indirekt einschlägig, da sie durchweg sich als gegenüber der Textgestalt des Dtn-MT als sekundär erweisen (Siehe dazu U. Dahmen, Das Deuteronomium in Qumran als umgeschriebene Bibel, in: G. Braulik [Hg.], Das Deuteronomium, ÖBS 23, Frankfurt/Main 2003, 269–293) und nur Auskunft darüber geben, in welchem Umfang Schreiber dieser Tradition den Text des Deuteronomiums variieren und umarbeiten konnten. An einigen Stellen berühren sich die Dtn-Texte von 11QT mit der LXX, die L. H. Schiffman (The Septuagint and the Temple Scroll: Shared „Halakhic“ Variants, in: G. J. Brooke/B. Lindars [Hg.], Septuagint, Scrolls and Cognate Writings, SCSt 33, Atlanta 1992, 277–297) für das Ergebnis halachischer Bearbeitung der MT-Texttradition hält. Das wäre im Einzelfall zu diskutieren, insofern ein fixer Endtext der MT-Texttradition erst nach der Zeitenwende in Anschlag zu bringen ist.

14 Siehe dazu H. Najman, Seconding Sinai. The Development of Mosaic Discourse in Second Temple Judaism, JSJ.S 77, Leiden/New York 2003, 41ff.

15 Siehe dazu M. Segal, Rewritten Bible (Grand Rapids 2005), 21f.

16 Zum Jakobsbund in diesem eschatologischen Kontext Siehe M. O. Wise, The Covenant of Temple Scroll XXIX,3–10, RdQ 14, 1989, 49–60; H. Najman, Seconding Sinai, JSJ.S 77, 57–60.

17 Siehe dazu J. Maier, Die Tempelrolle vom Toten Meer und das „Neue Jerusalem“. 11Q19 und 11Q20; 1Q32, 2Q24, 4Q554–555, 5Q15 und 11Q18. Übersetzung und Erläuterung. Mit Grundrissen der Tempelhofanlage und Skizzen zur Stadtplanung, UTB 829, München/Basel 31997, 58–73; Vgl. auch M. O. Wise, The Eschatological Vision of the Temple Scroll, JNES 49, 1990, 155–173; L. H. Schiffman, The Construction of the Temple according to the Temple Scroll, RdQ 17, 1996, 555–571; J. A. Davies, The Temple Scroll from Qumran and the Ultimate Temple, RTR 57, 1998, 1–21. Zur Topographie Jerusalems siehe E. Otto, Das antike Jerusalem. Archäologie und Geschichte, Beck'sche Reihe, München 2008.

18 4Q365(a) („Reworked Pentateuch“) kann Hinweis darauf sein, dass die Autoren der Tempelrolle in der Verbindung eines Tempelplans mit dem Sinai von einer Tradition geleitet wurden; Siehe dazu E. Tov/S.A. White Crawford, 346–367.4QReworked Pentateuchb-e and 365a.4QTemple?, in: H. Attridge u.a., Qumran Cave 4. VIII. Parabiblical Texts, Part 1, DJD 13, Oxford 1994, 319–333.

19 Zur Funktion von Ex 29,42–46 im Narrativ des Pentateuch siehe E. Otto, Das Gesetz des Mose. Die Literatur- und Rechtsgeschichte der Mosebücher, Darmstadt 2007, 52f.

20 Siehe dazu M. Zahn, Tempelrolle (RdQ 77), 271.

21 Dazu sowie zum Folgenden siehe die synchrone Interpretation der Sinaiperikope in Chr. Dohmen, Exodus 19–40, HThK.AT, Freiburg/Br. 2005; E. Otto, Das Gesetz des Mose (Darmstadt 2007), 46–73.

22 Zur postpriesterschriftlichen Abfassung von Ex 33,7–11 im Horizont von Ex 32–34 in diachroner Perspektive siehe E. Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, BEThL 126, Leuven 1996, (61–111), 91f.

23 Wenn Chr. Dohmen (Exodus 19–40 [HThK.AT], 339) davon spricht, die Zeltkonzeption von Ex 33,7–11 sei „niemals verwirklicht“ worden, so harmonisiert er allzu sehr. Zu Recht zeigt er selbst die enge Verbindung mit Ex 29 und Ex 35–40 auf. Die Autoren des Pentateuch haben Ex 33,7–11 gerade mit dem in Ex 29; 35–40 thematisierten Zelt in eins gesetzt. So haben es zumindest die Autoren der Tempelrolle gesehen. Das am Sinai realisierte Heiligtum entspreche nicht dem Willen Gottes vor Ex 32, der erst eschatologisch mit dem Tempel der Tempelrolle realisiert werde.

24 Herodes sah sich mit seinem ehrgeizigen Tempelbauprogramm in Jerusalem in der Rolle eines zweiten Salomo, da er beanspruchte, das Tempelgebäude in den Maßen des salomonischen wieder herzustellen, während die Rückwanderer aus dem babylonischen Exil nicht die Gelegenheit gehabt haben sollten, das Tempelgebäude wieder bis zur ursprünglichen Höhe des salomonischen Tempels aufzuführen. Der in herodianischer Zeit tradierte Tempelplan der Tempelrolle, der den herodianischen Tempelbezirk einschließlich der gewaltigen Aufschüttungen im Zuge der herodianischen Baumaßnahmen an Größe noch bei weitem übertreffen sollte (Siehe dazu M. Broshi, The Gigantic Dimensions of the Visionary Temple in the Temple Scroll, in: H. Shanks [Hg.], Understanding the Dead Sea Scrolls, New York 1992, 113–115), übt mit der impliziten Kritik am salomonischen Tempel auch Kritik am herodianischen Tempelbauunternehmen.

25 Siehe dazu H. Stegemann, „Das Land“ in der Tempelrolle und in anderen Texten aus den Qumranfunden, in: G. Strecker (Hg.), Das Land in biblischer Zeit, Göttingen 1983, 154–171; L. H. Schiffman, Sacred Space: The Land of Israel in the Temple Scroll, in: A. Biran/J. Aviram (Hg.), Biblical Archaeology Today, Jerusalem 1993, 398–410. Es sei darauf hingewiesen, dass die Autoren der Tempelrolle recht genau einen zentralen Zug des Deuteronomiums schon vor seiner Einbindung in den Pentateuch erfasst haben, geht es doch dem Deuteronomium um eine Heiligung des von den Lokalheiligtümern entblößten Landes durch die Gesetzesbefolgung des Gottesvolkes; Siehe dazu E. Otto, Staat – Gemeinde – Sekte. Soziallehren des antiken Judentums, ZAR 12, 2006, (312–343) 316–332. Hier zeigt sich einmal mehr, dass eine sich nur auf die Quellenscheidung kaprizierende diachrone Analyse die Konzeption der Tempelrolle aus dem Blick verliert, wenn sie nicht den Gesamtaufbau der Tempelrolle im Blick behält.

26 Es ist eine Verkürzung, wenn J. Maier (Tempelrolle [UTB 829], 57) daraus, dass es nicht mehr einsichtig sei, wozu sich der Autor in TR Kol. 2 die Mühe einer solchen Mosaiktechnik gemacht haben soll, um gegen einen in nachexilischer Zeit nicht mehr aktuellen Götzenkult zu polemisieren, schließen will, es handle sich um ein „älteres Versatzstück“. Wenn der Autor oder Redaktor der Tempelrolle irgendwo greifbar ist, dann ist es in TR Kol. 2. Nicht um eine Polemik gegen aktuellen Götzenkult geht es in dieser Kolumne, sondern darum, die Tempelrolle in das Narrativ der Sinaiperikope des Pentateuch einzuklinken.

27 Der Autor zitiert hier Num 35,34. Auch dort ist das Partizip futurisch zu übersetzen, da es um eine Bestimmung geht, die nach dem Durchzug durch den Jordan Gültigkeit haben soll (Num 35,10). Doch ist die Perspektive der Tempelrolle eine andere. Für Num 35,34 wird JHWH nach dem Durchzug weiterhin inmitten seines Volkes sein, für die Tempelrolle erst, wenn der eschatologische Tempel errichtet sein wird. Mit Num 35,34 zitiert die Tempelrolle und transformiert in die 1. Pers. göttlicher Rede einen zentralen Satz der postpentateuchredaktionellen Erweiterung des Numeribuches, der markiert, „worum es in der Umordnung der Institutionen gegangen ist: um die Heiligkeit Israels und des Landes unter den Anspruch des einen Gottes in dem einen Heiligtum Jerusalem“; Siehe R. Achenbach, Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, BZAR 3, Wiesbaden 2003, 600.

28 Neben der 2. Pers. Plural ist auch die 2. Pers. Singular mit Suffix der 3. Pers. Plural möglich. Eine Heiligung des Volkes durch den angeredeten Mose hat keinen Anhalt an der Konzeption der Tempelrolle. Hier wird auf Lev 11,34f. Bezug genommen, wo ein „heiligt euch“ steht; Siehe dazu E. Jucci, Ordine sacro e Legge nel Rotolo del Temio, Sapienza e Tora 1987, (243–263) 252 Anm. 54.

29 Siehe dazu E. Otto, Mose, der erste Schriftgelehrte. Deuteronomium 1,5 in der Fabel des Pentateuch, in: D. Böhler u. a. (Hg.), L'Ecrit et l'Esprit. Etudes d'histoire du texte et de théologie biblique. FS A. Schenker, OBO 214, Fribourg/Göttingen 2005, 273–284.

30 Dass „das Deuteronomium dem Psalter (die) Spitzenstellung als meistbelegtes, meistzitiertes und am stärksten rezipiertes biblisches Buch in den Texten vom Toten Meer mehr als streitig (macht)“ – so U. Dahmen (Deuteronomium in Qumran [ÖBS 23], 269) –, dürfte seine Begründung darin haben, dass die Rechtshermeneutik des Pentateuch in diesem Sinne richtig verstanden wurde. Wie im Pentateuch selbst tritt die Sinaitora in Qumran hinter das Deuteronomium als Auslegung der Sinaitora zurück. Dass diese Rechtshermeneutik des Pentateuch allerdings nicht ohne Widerspruch blieb, zeigt die Tempelrolle wie andere Zeugnisse der „rewritten Bible“.

31 Zur Funktion der Kanonsformel im postdtr Deuteronomium als Teil des Pentateuch siehe E. Otto, Das Deuteronomium in Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens, FAT 30, Tübingen 2000, 164f. 273. Zu Ursprung und Geschichte der Kanonsformel siehe auch Chr. Dohmen/M. Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu? Eine Kanonstheologie, QD 137, Freiburg/Br. 1992, 68–89, mit weiterer Literatur.

32 Dass hier Dtn 13,1 rezipiert wird und nicht, wie J. Maier (Tempelrolle [UTB 829], 228) meint, eine „variable Standardformulierung“ unabhängig vom Deuteronomium, zeigt die Fortsetzung in TR Kol. 54:8–18, die Dtn 13,2–18 rezipiert; Siehe dazu L. H. Schiffman, Deuteronomic Paraphrase (RdQ 15), 554–556. Zu TR Kol. 55:2–14 als Rezeption von Dtn 13,13–19 siehe ders., a.a.O., 556–558.

33 Im Gegensatz zu 4QMMT wird in der Tempelrolle nicht die sog. „Zitationsformel“ ktwb verwendet, die in 4QMMT der Kennzeichnung paraphrasierender Auslegung von pentateuchischen Texten dient (Siehe dazu E. Qimron/J. Strugnell, Qumran Cave 4, V: MiqṢat Ma'aśe Ha-Tora [DJD 10], Oxford 1994, 140f.; M. J. Bernstein, The Employment and Interpretation of Scripture in 4QMMT. Preliminary Observations, in: J. Kampen/M. J. Bernstein [Hg.], Reading 4QMMT. New Perspectives on Qumran Law and History, SBL.SympS 2, Atlanta 1996, [29–51], 39f.), da Gott selbst sich nicht auf einen von Mose verschrifteten Text beziehen kann, so dass in der Tempelrolle im Gegensatz zum Jubiläenbuch konsequent auch auf das Verschriftungsmotiv verzichtet wird. Es geht also nicht nur darum, Mose der Autorität der Tora unterzuordnen, wie H. Najman (Seconding Sinai [JSJ.S 77], 67f.) zu Recht feststellt. Vielmehr ist eine Abhängigkeit Gottes von der mosaisch verschrifteten Tora für die Autoren der Tempelrolle unmöglich.

34 Widerspricht die Tempelrolle so diametral dem Pentateuch, so muss es als ausgeschlossen gelten, dass sie als „sechstes Buch der Tora“ konzipiert worden sei, wie es von H. Stegemann (The Origins of the Temple Scroll, in: J. A. Emerton [Hg.], Congress Volume. Jerusalem 1986, VT.S 40, Leiden/New York 1988, 235–256; ders., The Literary Composition of the Temple Scroll and its Status at Qumran, in: G. Brooke [Hg.], Temple Scroll Studies, JSP.S 7, Sheffield 1989, [123–148] 127. 142f.) vertreten wurde.

35 Dtn 22,6 rezipierend wird das Verb lqḥ in TR Kol. 52:6b-7a durch nkh ersetzt, das aus dem Banngebot des Kriegsgesetzes in Dtn 20,13f. stammt und dort die Tiere ausnimmt. Die Tempelrolle formuliert in TR Kol. 52:6b-7a damit das neu kontextualisierte Gebot des Deuteronomiums, das dort nur den speziellen Fall, die Vogelmutter solle nicht mit dem Jungen aus dem Nest genommen werden, zu einem allgemeinen Schutzgebot für Tiere um, in das auch durch Stichwortanknüpfung Dtn 20,14 einbezogen wird. Zum Kontext von TR Kol. 52:6–7a in TR Kol. 52:3–7 Siehe L. H. Schiffman, MiqṢat Ma'aseh Ha-Torah and the Temple Scroll, RdQ 14, 1989, (435–457) 449–451. Zu TR Kol. 65:2–5 in diesem Zusammenhang siehe ders., Deuteronomic Paraphrase (RdQ 15), 551. Dass allerdings mit dem Verb nkh in TR Kol. 52:6–7a an Gen 32,12 angeknüpft werden sollte, wie L. H. Schiffman meint, ist wenig wahrscheinlich. Vielmehr haben die Autoren der Tempelrolle die Begrenzung des Banngebots in Dtn 20,13f. tierethisch als Ausdruck einer gerechten Ordnung, deren Konzipierung die Autoren der Tempelrolle geleitet hat, interpretiert.

36 An TR Kol. 51:11–16 wird gegenüber dem rezipierten Text in Dtn 16,18–20, der seinerseits Ex 23,1–3.6–8 auslegt (Siehe dazu E. Otto, Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsreform in Juda und Assyrien, BZAW 284, Berlin/New York 1999, 238–249), das bereits im Bundesbuch sozial konnotierte Bestechungsverbot (Siehe dazu E. Otto, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des Bundesbuches, StB 3, Leiden/New York 1988, 47f.), und das bereits das Deuteronomium heraushebt, noch verstärkt akzentuiert, indem es unter den Geboten nach vorn gezogen wird als Epexegese des Gebotes, bei Gericht nicht die Person anzusehen; Siehe dazu L. H. Schiffman, Deuteronomic Paraphrase (RdQ 15), 562–566. Die Autoren der Tempelrolle, so zeigt TR Kol. 51:13, haben auch Ex 23,6 rezipiert. Die Möglichkeit zur Bestechung steht dem Wohlhabenden zur Verfügung, der so durch wirtschaftliche Macht der Rechtsbeugung Vorschub leisten kann: „denn Bestechung beugt Recht und fälscht die Sache der Gerechtigkeit, blendet die Augen Weiser und verursacht große Schuld und verunreinigt das Haus durch die Schuld der Sünde“ (TR Kol. 51:13b-15aa). Dass also die Tempelrolle einen so betonten Akzent auf das Bestechungsverbot legt, ist wie am Beispiel auch der Tierethik erkennbar ein soziales Anliegen der Autoren, so dass sich eine geradlinige sich steigernde Betonung dieses Aspektes vom Bundesbuch über das Deuteronomium bis zur Tempelrolle zeigt. Von Bedeutung ist daher auch, dass die Methoden der schriftgelehrten Interpretation in der Tempelrolle bereits in der Rezeption der Rechtsordnung des Bundesbuches im Deuteronomium zu verzeichnen sind. Für eine Analyse der Rezeption von Deuteronomiumstexten in der Tempelrolle sind neben den innerdeuteronomischen Rezeptionen, in diesem Falle von Dtn 16,18–20 in Dtn 1,9–19, auch die Rezeptionen des Bundesbuches im Deuteronomium mit einzubeziehen, da hier wie auch sonst die Autoren der Tempelrolle die pentateuchischen Paralleltexte im Horizont synchroner Lektüre überblickten und heranzogen. In synchroner Lektüre ist ihnen selbstverständlich gewesen, dass das Deuteronomium mosaische Auslegung des Bundesbuches sein wollte. Entsprechend verlagerten sie die soziale Tendenz dieser Auslegung von Ex 23,1–3.6–8 in Dtn 16,18–20 zurück in die sinaitische Gottesrede und verstärkten noch die Tendenz des Deuteronomiums. Die Autoren der Tempelrolle haben also diese Texte keineswegs alle auf einer Ebene gelesen, sondern ein waches Gespür für ihre diachron durch die Rechtshermeneutik des pentateuchischen Narrativs gelenkten Abhängigkeitsverhältnisse gehabt; Siehe dazu E. Otto, Wie „synchron“ wurde in der Antike der Pentateuch gelesen?, in: F.-L. Hoßfeld/L. Schwienhorst-Schönberger (Hg.), „Das Manna fällt auch heute noch“. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten/Ersten Testaments. FS E. Zenger, HBS 44, Freiburg/Br. 2004, 470–485.

37 Siehe E. Otto, Deuteronomium (FAT 30), 248–265.

38 Siehe J. Maier, Tempelrolle (UTB 829), 43f.

39 Siehe E. Otto, Zadok/Zadokiden, RGG4 VIII, Tübingen 2005, 1775f. mit weiterer Literatur. J. Maier (Tempelrolle [UTB 829], 43–47) und ähnlich L. H. Schiffman (MiqṢat Ma'aśeh Ha-Torah [RdQ 14], 457) sehen in der Tempelrolle das Ergebnis innerzadokidischer Tora-Streitigkeiten. Dagegen hat G. Boccaccini (Beyond the Essene Hypothesis. The Parting of Ways between Qumran and Enochic Judaism [Grand Rapids 1998], 86–103) eine zadokidische Herkunft von Tempelrolle und Jubiläenbuch zugunsten eines Ursprungs in henochischen Kreisen infrage gestellt.

40 Siehe 4Q394:3–7; 4Q395:11; 4Q396:1–2 IV:8. Siehe dazu H. J. Fabry, Zadokiden und Aaroniden in Qumran, in: F.-L. Hoßfeld/L. Schwienhorst-Schönberger (Hg.), „Das Manna fällt auch heute noch“. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten/Ersten Testaments. FS E. Zenger, HBS 44, Freiburg/Br. 2004, (201–217) 210. Der Kern der Qumraniten ist dagegen zadokidisch und räumt den Zadokiden stets den Vorrang ein.

41 Siehe dazu E. Otto, Vom biblischen Hebraismus der persischen Zeit zum rabbinischen Judaismus in römischer Zeit. Zur Geschichte der spätbiblischen und frühjüdischen Schriftgelehrsamkeit, ZAR 10, 2004, 22–24. Auch die Autoren des Jubiläenbuches sind den Kreisen an den Rand gedrängter Priester zuzurechnen, die aber keineswegs, wie die rechtshermeneutischen Differenzen, die sich insbesondere an den Unterschieden in Bezug auf die Mosegestalt festmachen, identisch sein müssen. Noch weniger wahrscheinlich ist die u. a. von B. Z. Wacholder (The Relationship between 11QTora [The Temple Scroll] and the Book of Jubilees: One Single or Two Independent Compositions?, in: SBL Seminar Papers 1985, SBL.SP 24, Chicago 1985, 205–216) vertretene These, dass Jubiläenbuch und Tempelrolle Teile eines literarischen Werkes waren; siehe dagegen S. A. White Crawford, Three Fragments from Qumran Cave 4 and their Relationship to the Temple Scroll, JQR 85, 1994, 259–273; H. Najman, Seconding Sinai (JSJ.S 77), 62f.

42 So z. B. B. Z. Wacholder, 11QTorah (SBL.SP 24), 205–216. Siehe dagegen H. Najman, Seconding Sinai (JSJ.S 77), 46f.

43 So H. Najman, Seconding Sinai (JSJ.S 77), 41ff.

44 So ist auch nicht Vollständigkeit der Gesetzesrezeption erforderlich; Siehe dazu L. H. Schiffman, Temple Scroll (JQR 84), 110. Die prophetische Kritik in Kreisen jeremianischer Tradentenprophetie der nachexilischen Zeit ist in dieser Kritik noch sehr viel radikaler, geht es ihnen doch darum, den Anspruch zu begründen, dass auch in nachmosaischer Zeit Gott durch die Prophetie spreche.

45 Siehe dazu E. Otto, The Pre-exilic Deuteronomy as a Revision of the Covenant Code, in: ders., Kontinuum und Proprium. Studien zur Sozial- und Rechtsgeschichte im Alten Orient und im Alten Testament, Orientalia Biblica et Christiana 8, Wiesbaden 1996, 112–122; ders., Rechtshermeneutik in der Hebräischen Bibel. Die innerbiblischen Ursprünge halachischer Bibelauslegung, ZAR 5, 1999, 75–98.

46 Insofern ist die These von H. Najman (Seconding Sinai [JSJ.S 77], 53), die Tempelrolle beanspruche, dass die Sinaioffenbarung materialreicher gewesen sei, als es der Pentateuch zeige, in der Sache nicht falsch, aber zu differenzieren. Die Offenbarung in der Vorderen Sinaiperikope gilt auch der Tempelrolle nicht als ergänzungsbedürftig. Nur Gottes Auslegung dieser Offenbarung in der Hinteren Sinaiperikope in Ex 34 sei auf Kosten der mosaischen Auslegung in Moab zu ergänzen.

47 Siehe auch TR Kol. 59:7–10. Auch hier zeigt sich die grundsätzliche Distanz der priesterlichen Autoren der Tempelrolle zur jeremianischen Tradentenprophetie der nachexilischen Zeit; Siehe dazu E. Otto, Old and New Covenant. A Postexilic Discourse between the Pentateuch and the Book of Jeremiah. Also a Study of Quotations and Allusions in the Hebrew Bible, OTE 19/3 (FS J. LeRoux) 2006, 939–949.

Empfehlen


Export Citation