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Geistes- und religionshistorische Hintergründe von Strafpraktiken im Alten Mesopotamien


Seiten 129 - 141

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.21.2015.0129




Innsbruck

1 K. Schöpsdau: Strafen und Strafrecht bei griechischen Denkern des 5. und 4. Jahrhunderts, in: R. Rollinger, M. Lang, H. Barta (Hrsg.): Strafe und Strafrecht in den antiken Welten, Philippika. Marburger altertumswissenschaftliche Abhandlungen 51, Wiesbaden 2012, 1–21.

2 D.h. Gebete, Rituale, literarische Texte, aber erstaunlich wenige „Rechtstexte“.

3 Der Autor bittet um Verständnis, wenn grobe Pinselstriche dort erscheinen, wo sich einzelne Fachleute aufgrund ihrer Spezialisierung, etwa in einer spezifischen Quellengattung, einer bestimmten Region oder historischen Periode, einen verstärkten Farbauftrag oder aber auch etwas mehr an Zurückhaltung gewünscht hätten.

4 Vgl. D. Sitzler-Osing, Strafe I. Religionsgeschichtlich, TRE 32, (195–198) 196.

5 Für den Hinweis auf die nun folgende Episode danke ich Dr. Sebastian Fink, der mich bei einem Gespräch zu diesem Thema auf das Werk von Daniel Everett aufmerksam gemacht hat.

6 D. Everett, Don't Sleep, There are Snakes. Life and Language in the Amazonian Jungle, London 2008, 143–149.

7 H. Behrens, Enlil und Ninlil. Ein sumerischer Mythos aus Nippur, StP. Sm 8, Rom 1978.

8 Siehe grundsätzlich schon G. Th. Hobson, Punitive expulsion in the ancient Near East, ZAR 17, 2011, 15–32. Der Autor bringt auch noch Beispiele aus der Mari-Korrespondenz bei.

9 u2-zug4 meint zunächst undifferenziert eine rituell verunreinigte Person: „We consider the word (m)uzug of unknown origin, which is found in Sumerian literary texts since the XXII century BC. It means the ritual impurity of man and does not have an exact translation.“ (Mit Dank an V. Emelianov für seine Paraphrase seines russischen Artikels V. Emelianov, On the History of Sumerian (m)uzug: Orthography, Semantics and Etymology of the Word, in: Indo-European Linguistics and Classical Philology XVII. Proceedings in Honor of Professor I.M. Tronsky. St. Petersburg, 2013, 282–289[in Russian with English Summary]. Per E-mail vom 24.08.2015).

10 Für das Sumerische ist die Beleglage zu dünn, für das akkadische Äquivalent mussuku lässt sich etwas mehr sagen: Zu einem mussuku (Unreinen) wird man nicht notwendigerweise durch ein Verbrechen, vielmehr scheint die „Kontamination“ durch gewisse Handlungen oder Zustände herbeigeführt zu werden. Zu einem mussuku wird man zunächst, unbeschadet ob die verunreinigenden Handlungen oder Zustände intendiert oder unbeabsichtigt sind. So ist zum Beispiel eine menstruierende Frau eine mussukatu und durch ihren Zustand „unrein“, ohne dass sie im geringsten etwas mit einem Verbrechen zu tun hätte. Vgl. dazu W. Sallaberger, Art. Reinheit. A. Mesopotamien, in: RIA 11, 295–299.

11 u2-zug4 erscheint in der sumerischen Literatur nicht gerade häufig, schon gar nicht in rechtlich relevanten Texten. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass schon in den Gudea Zylindern die Rede davon ist: Gudea lässt von sich schreiben, dass er die Stadt von (sexuell) Unreinen, den Unansehlichen, reinigen lässt, indem er sie vertreibt (uzug3-ga ni2-ĝal2 lu2-GI.AN iri-ta ba-ta-e3 [ed. D. O. Edzard, Gudea and His Dynasty, RIME 3, I, Toronto 1997, 77]). šulgi rühmt sich, Unrecht und Unreinheit gleich einer Flut ausgerissen zu haben (niĝ2-er im2 a-ĝi6 a e3-a-gin7 uzugx(KA.U2)-ge he2-mi-bu3[N 3130 + N3131, ed. J. Klein, A self-laudatory šulgi hymn fragment from Nippur, in: M. E. Cohen, D. C. Snell, D. B. Weisberg (eds.), The Tablet and the Scroll: Near Eastern Studies in Honor of William W. Hallo. Bethesda, MD (124–130) 126–127]). Zu dieser Personengruppe in diesen Texten siehe Vladimir V. Emelianov. Группы изгоев в текстах Гудеа / Punitive Expulsion in the Gudea Texts, in Труды Государственного Эрмитажа, сборник Дьяконовских чтений, Санкт-Петербург, 2016 (in print).

12 Vgl. hierzu nun auch den entsprechenden Abschnitt im Beitrag von Birgit Christiansen, hier 31–101. Über ḫurkel-Verbrechen wurde zwar viel geschrieben, für unseren Zweck aber möge Hoffners „Definition“ (H. A. Hoffner, The Laws of the Hittites. A Critical Edition, DMOA 23, Leiden 1997, 2, vgl. aber auch 224) von ḫurkel- als „unpermitted sexual pairing, incest“ genügen. Eine aus der Sicht des Autors ausgezeichnete Übersicht über ḫurkel- bietet die bisher unveröffentlichte Arbeit von Elifta Fritzsche, Die Aufgaben des BĒL MADGALTI nach CTH 261 und nach den Ma̧sat-Briefen, Hausarbeit, Institut für Altorientalistik, Freie Universität Berlin 2010 (mit Dank an Elifta Fritzsche für die anregende Diskussion und die Übermittlung der Arbeit).

13 Siehe dazu H. A. Hoffner, Incest, Sodomy and Bestiality in the Ancient Near Eas, in H. A. Hoffner (Hrsg.), Orient and Occident, AOAT 22 [FS Cyrus H. Gordon], Neukirchen-Vluyn 1973 (81–90) passim sowie Hoffner, Laws (s.o. Anm. 12), bes. 2, aber auch 224.

14 Ausnahme ist der § 196 der heth. Gesetze, in welchem ḫurkel-, begangen durch Sklaven, mit dem „wegbringen“, „deportieren“ (arnu-) belegt ist. Weiters ist die Praxis der Vertreibung in den Instruktionen Arnuwandas I. belegt (CTH 261:194–198; rezent J. L. Miller, Royal Hittite instructions and related administrative texts, SBL WAW 33, Atlanta 2013, 228–229). Gemäß dieser Quelle wurden ḫurkel-Vergehen in einigen Städten mit der Verbannung sanktioniert, in anderen mit der Todesstrafe. Das Edikt weist an, diese lokal üblichen Rechtspraktiken beizubehalten. Aufgrund dieser Beleglage ist entweder eine historische Entwicklung der ḫurkel-Sanktionen anzunehmen, oder mit einer nicht flächendeckend einheitlichen Rechtspraxis, oder mit beidem zu rechnen (vgl. auch hier B. Christiansen, 31–101).

15 Zur Verbannung als Strafe im römischen Recht vgl. auch den Beitrag von Andreas Schilling in diesem Band, 159–175.

16 Vgl. auch M. Lang, Meine Vergehen mögen gelöst, meine Sünden vergessen sein. Konzepte von Reinheit und Unreinheit in der keilschriftlichen Überlieferung des Alten Orients. Teil II, ZkTh 134, 2012, 431–448, hier 444–447.

17 Eckart Otto verweist die Inzestverbote in Lev 18,7–18* genetisch in das Fluchrecht der gentilen Rechtsgemeinschaft (E. Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, Stuttgart 1994, 40).

18 Vgl. etwa J. Milgrom, Leviticus 1–16. A new translation with introduction and commentary, New York 1991, 457–461.

19 So auch Otto, Ethik, 224 (s.o. Anm. 17).

20 Die Natur dieser Strafen hat eine beachtliche Geschichte innerjüdischen Diskurses gezeitigt. Offenkundig wussten auch die Rabbinen nicht genau, worin כרת bestand. Zur Rezeption der כרת-Bestimmungen siehe jüngst C. Hezser, Geldstrafen, Peitschenhiebe, und göttliche Vergeltung. Strafdrohungen in der Mischna, ZAR 20, 2014, 201–214, bes. 212–214.

21 Bezeichnender Weise kommt dieses Lexem 6 mal in Lev 18 vor.

22 Vgl. A. Schenker, Unreinheit, Sünde und Sündopfer, BZ.NF 59, 2015 (1–16) 3.

23 Vgl. hierzu Th. Hieke, Das Alte Testament und die Todesstrafe, Bib. 85, 2004, 349–374.

24 Zu Lev 18 als Vertrag vgl. D. Wold, Out of order. Homosexuality in the Bible and the ancient Near East, Grand Rapids 1998, 96–98.

25 Thomas Hieke etwa meint, dass gerade karet zwar Gottesstrafe sei, aber den sozialen Tod bedeute (Th. Hieke, Levitikus 16–27, HThKAT Freiburg / Br. 2014, 777–779).

26 Gemeint ist hier die Explikation auf einer Tafel des Rituals Bīt Rimki – „Badehaus“: … u tībibti māti iššakkan KI.MIN tībibti šarri iššakkan – „und die Reinigung des Landes wird erlangt, genauso, wie die Reinigung des Königs erlangt wird“ (Text: K.2600+K.9512+K.10216 ed. W. Lambert, A Part of the Ritual for the Substitute King, AfO 18, 1957–58, 109–112; editio princeps: J. Laess⊘e, Studies on the Assyrian Ritual and Series bît rimki, Munksgaard 1955). Dieses Ritual dient der Reinigung des Königs und seines Haushaltes im Gefolge negativer Omina (etwa Sonnenfinsternis) und vermuteten Schadenzaubers sowie im Zuge des Ersatzkönigrituals. Siehe dazu M. Lang, On Purity – Private and Public, im Druck.

27 So Schenker, Unreinheit (s.o. Anm. 22), 4.15.

28 W. Schmitz, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland, Klio Beih. 7, Berlin 2004, bes. 401–405.

29 M. Lundgreen, Friedlosigkeit, RGA 9, 613–621.

30 Vgl. dazu E. Otto, Homosexualität im Alten Orient und im Alten Testament, in: E. Otto, Kontinuum und Proprium. Studien zur Sozial- und Rechtsgeschichte des Alten Orients und des Alten Testaments, OBC 8, Wiesbaden 1996, 322–330, hier 327–328.

31 K. Koch, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?, in ZThK 52, 1955, 1–42. Rezent dazu: B. Janowski, Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offene Fragen im Umkreis des „Tun-Ergehen-Zusammenhangs“, ZThK 91, 1994, 247–291.

32 R. Knierim, Zum alttestamentlichen Verständnis von Strafe, in: J. Loader (Hrsg.), Vielseitigkeit des Alten Testaments. Festschrift für Georg Sauer zum 70. Geburtstag, Wiener alttestamentliche Studien 1, Frankfurt / M., 103–120, hier 105–106.

33 Vgl. M. Braunwarth, Gedächtnis der Gegenwart. Signatur eines religiös-kulturellen Gedächtnisses, Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik 16, Münster 2001, 190–191.

34 R. Knierim, Die Hauptbegriffe für Sünde im Alten Testament. Gütersloh 1965, 178.

35 In mancherlei Hinsicht erinnert der Gebrauch von פשׁע an die unten näher zu beleuchtende akkadische Begrifflichkeit von bārtu – „Rebellion“, welches, wie dann zu zeigen versucht wird, deutlich als Angriff auf einen imaginären, universalen Gesellschaftsvertrag zu sehen ist.

36 Vgl. M. Lang, Gott und Gewalt in der Amosschrift, FzB 102, Würzburg 2004, 40–41.

37 Vgl. z. B. R. Hendel, Genesis 1–11 and Its Mesopotamian Problem, in: E. Gruen (Hrsg.), Cultural Borrowings and Ethnic Appropriations in Antiquity, Oriens et Occidens 8, Stuttgart 2005 (23–36) 26 sowie immer noch(!) A. Deissler, Grundbotschaft des Alten Testaments. Ein theologischer Durchblick, Freiburg i. Br., 1984, 56.

38 E. Otto, Gesellschaftsstruktur und Strafrecht in der Hebräischen Bibel, in: R. Rollinger, M. Lang, H. Barta (Hrsg.): Strafe und Strafrecht in den antiken Welten, Philippika. Marburger altertumswissenschaftliche Abhandlungen 51, Wiesbaden 2012, 233–247, hier 235.

39 KAI 215, 11.19; KAI 216, 4; KAI 217, 5;

40 KAI 226,2.

41 A. Spira, Pietas, in: KP 4, 848.

42 Siehe dazu grundsätzlich: K. Koch, Ṣädaq und Ma'at. Konnektive Gerechtigkeit in Israel und Ägypten?, in: J. Assmann, B. Janowski, M. Welker (Hrsg.), Gerechtigkeit. Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprüngen. München 1998, 37–64.

43 H. Neumann, Bemerkungen zu einigen Aspekten babylonischen Rechtsdenkens im Spannungsfeld von Theorie und Praxis, in: E. Cancik-Kirschbaum, M. van Ess, J. Marzahn (Hrsg.), Babylonische Wissenskultur in Orient und Okzident / Science Culture Between Orient and Occident, Berlin / Boston 2011 (159–170), 164.

44 Vgl. J. Hengstl: Zur rechtlichen Bedeutung von arnum in der altbabylonischen Epoche, WdO 11, 1980 (23–34) 34.

45 Vgl. Hengstl, Bedeutung (s.o. Anm. 44), 34.

46 Die Begrifflichkeit erstreckt sich dann auf ḫubullu – „Vertragsstrafe“), arnum „(deliktische) Strafe“, ḫittum (Strafe aus einer Verpflichtung). Vgl. Hengstl, Bedeutung (s.o. Anm. 44), 34 (mit Cardascia).

47 Etana, NA Version, Taf. II, 8–22, ed. M. Haul, Das Etana-Epos. Ein Mythos von der Himmelfahrt des Königs von Kiš, Göttinger Arbeitshefte zur altorientalischen Literatur 1, Göttingen 2000, 170–173.

48 Dieser „Vorsatz“ wird literarisch realistiert, indem der Adler den Plan seinen Jungen offenbart: mārū sīrim-mi lūkul(u) anāku – „die Kinder der Schlange will ich fressen“ (Etana NA, Taf. II, 41 ed. Haul 2000, 175).

49 Dies gesehen und beschrieben zu haben, ist Verdienst Tzvi Abuschs: T. Abusch, The Socio-Religious Framework of the Babylonian Witchcraft Ceremony Maqlu. Some Observations on the Introductory Section of the Text, Part II, in: Z. Zevit, G. Ziony, S. Seymour, M. Sokoloff (Hrsg.): Solving riddles and untying knots. Biblical, epigraphic, and Semitic studies in honor of Jonas C. Greenfield. Winona Lake Ind., 1995, 467–494; T. Abusch, The Socio-Religious Framework of the Babylonian Witchcraft Ceremony MaqlÛ. Some Observations on the Introductory Section of the Text, Part I, in: T. Abusch (Hrsg.): Riches hidden in secret places. Ancient Near Eastern studies in memory of Thorkild Jacobsen, Winona Lake Ind., 2002, 1–34.

50 Etana, Taf. II, 114–116, ed. Haul, Etana-Epos (s.o. Anm. 47), 184–185.

51 ed. E. Reiner, šurpu: a collection of Sumerian and Akkadian incantations, AfO.B 11, Graz 1958.

52 Vgl. M. Lang, Assyrien im 7. Jahrhundert und die literarische Produktion in der Levante und der Ägäis, in: S. Gaspa, A. Greco, D. Morandi Bonacossi, S. Ponchia, R. Rollinger (Hrsg.), From Source to History: Studies on Ancient Near Eastern Worlds and Beyond. Dedicated to Giovanni Battista Lanfranchi on the Occasion of His 65th Birthday on June 23, 2014, AOAT 412 (353–371) 356.

53 MaqlÛ V12–13 ed. G. Meier, Die assyrische Beschwörungssammlung MaqlÛ. Osnabrück 1967, 34. Die neueste Textausgabe von Tzvi Abusch nondum vidi.

54 Vgl. CAD B, 113–115, als nomen agentis: bārānu (CAD B, 103).

55 Häufig erscheint bārtu zusammen mit sīḫu oder / und nabalkuttu. Vgl. dazu P. Juhás, bārtu nabalkattu ana māt Aššur īpušma uḫaṭṭâ … Eine Studie zum Vokabular und zur Sprache der Rebellion in ausgewählten neuassyrischen Quellen und in 2 Kön 15–21, KUSATU 14, Kamen 2011. Es ist eine v.a. auf die Bezeugung in Königsinschriften ab der frühneuassyrischen Zeit beschränkte, philologische Studie. Auf die rechtlichen Implikationen dieser Terminologie, die stark in anderen Texten aufscheinen, geht der Autor nicht ein.

56 Sanaa Svärd (Helsinki) sei herzlich gedankt, dass sie mir Einblick in das „Neo-Assyrian Text Corpus, with the permission of Simo Parpola and with the compliments of The Neo-Assyrian Text Corpus Project“ gewährt hat.

57 SAA II, 28–59.

58 Die für die Tatbestände der Verletzung der māmītu eingesetzten Verben (egÛ, enÛ, ḫaṭÛ …) korrespondieren samt und sonders mit jenen aus den Reinigungsritualen (etwa šurpÛ) und den akkadischen Gebeten des 1. Jahrtausends.

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