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Ist das Deuteronomium „nicht mehr und nicht weniger als eine ‚Lehrstunde der Geschichtsdidaktik’‟? Zu einem Buch von Johannes Taschner


Seiten 463 - 474

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.14.2008.0463




München

1 Rezensionsartikel zu J. Taschner, Die Mosereden im Deuteronomium. Eine kanonorientierte Untersuchung, Forschungen zum Alten Testament 59, Tübingen: Mohr Siebeck 2008, XII + 402 S.

2 Siehe K. Finsterbusch, Weisung für Israel. Studien zu religiösem Lehren und Lernen im Deuteronomium und seinem Umfeld, FAT 44, Tübingen 2005.

3 Siehe dazu auch die Rezension der Monographie von K. Finsterbusch in E. Otto, Neue Literatur zur biblischen Rechtsgeschichte, ZAR 12, 2006, (72-106) 92–96.

4 Siehe R. Polzin, Moses and the Deuteronomist. A Literary Study of the Deuteronomistic History, New York 1980.

5 Siehe J.-P. Sonnet, The Book within the Book. Writing in Deuteronomy, BIS 14, Leiden/Boston 1997; siehe dazu E. Otto, Mose der Schreiber. Zu „poetics‟ and „genetics‟ in der Deuteronomiumsanalyse anhand eines Buches von Jean-Pierre Sonnet, ZAR 6, 2000, 320–329.

6 Siehe dazu E. Otto, Das Deuteronomium in Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens, FAT 30, Tübingen 2000, 129–233.

7 Wenn der Verf. festhält, dass die literaturhistorischen Umstände, unter denen das Bild, das der Pentateuch von Mose zeichnet, nicht in das kanonisch gewordene Mosebild hineingehöre, dieses aber „durch die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung an einigen Stellen erhellt und konturiert‟ werde (S. 56), so wird man fragen dürfen, warum das nicht generell für das Verständnis des „kanonischen‟ Deuteronomiums gelten soll. Wie historisch-kritische Forschungsergebnisse zum Deuteronomium die synchrone Interpretation erhellen und konturieren, ist allerdings an der Studie von J.-P. Sonnet abzulesen.

8 Der Verf. bezieht sich auf die in Anm. 5 genannte Monographie.

9 Siehe dazu E. Otto, Das Gesetz des Mose, Darmstadt 2007, mit dem Versuch, diachrone und synchrone Methodik zu vermitteln; siehe auch ders., The Pentateuch in Synchronical and Diachronical Perspectives: Protorabbinical Scribal Erudition Mediating between Deuteronomy and the Priestly Code, in: ders./R. Achenbach (Hg.), Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk, FRLANT 206, Göttingen 2004, 14–35. Es ist unübersehbar, dass der Verf. mit den neueren Deuteronomiumskommentaren von L. Perlitt und T. Veijola wenig anfangen kann, aber auch synchron gearbeitete Monographien zum Thema wie die von G. J. Venema, Reading Scripture in the Old Testament. Deuteronomy 9–10; 31–2 Kings 22-23 – Jeremiah 36 – Nehemiah 8, OTS 48, Leiden/Boston 2004, übergeht; siehe dazu E. Otto, Die Tora als Buch. Ein Schlüssel zum Schriftverständnis der Hebräischen Bibel, ZAR 13, 2007, 284–303, mit weiterer einschlägiger Literatur.

10 Darauf, dass der Verf. mit dieser Interpretation einen wichtigen hermeneutischen Schlüssel der Differenzierung zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit im Deuteronomium nicht zuletzt durch einen Mangel an literaturhistorischer Differenzierung zerstört hat, sei nur hingewiesen. Bereits Th. Römer, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition, OBO 99, Fribourg/Göttingen 1990, 52, hat davon gesprochen, in Dtn 5,3 sei ein „Aktualitätsdenken‟ eher als ein „Kontinuitätsdenken‟ am Werk. Unbeschadet der Frage, ob ein dtr Deuteronomium bereits die Erzväter der Genesis thematisiert habe oder die Exodusgeneration, ist es exegetisch zu einfach, alle Erwähnungen von Vätern in der „kanonischen‟ Fassung des Deuteronomiums auf die Erzväter zu deuten. Für Dtn 5,2f. gilt das keineswegs. Eine diachrone Perspektive kann allerdings die hermeneutische Funktion von Dtn 5,2-3 von der dtr Rahmung bis zur postdtr Endgestalt des Deuteronomiums aufzeigen.

11 Siehe dazu F. Crüsemann, Bewahrung der Freiheit. Das Thema des Dekalogs in sozialgeschichtlicher Perspektive, Gütersloh 1993. Siehe dagegen O. Kaiser, Freiheit I. Altes Testament, RGG4, Tübingen 2000, 304–306.

12 Siehe dazu E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch (FAT 30), 227ff.

13 Dass in Ex 34,11f. JHWH-Aussagen zum Exodus in Dtn 4,34; 29,1f. auf Mose übertragen werden, ist erstaunlicherweise für den Verf. kein Thema. Dies aber ist die eigentliche Herausforderung für eine synchrone Interpretation von Dtn 34,11f.

14 In diesem Zusammenhang ist auch Num 11,12 heranzuziehen als Beleg dafür, dass Mose nahe an JHWH herangerückt wird. Auch hier geht es ebenfalls um die Legitimation der Autorität des Mose; siehe dazu R. Achenbach, Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, BZAR 3, Wiesbaden 2003, 219–266.

15 Siehe dazu die schlüssige synchrone Auslegung der Sinaiperikope auch in ihrem Verhältnis zum Deuteronomium von Chr. Dohmen, Exodus 19-40, HThK.AT, Freiburg/Br. 2004, 42ff. Siehe dort auch die schlüssige Interpretation von Ex 32–34.

16 Siehe E. Otto, Das postdeuteronomistische Deuteronomium als integrierender Schlußstein der Tora, in: M. Witte u. a. (Hg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus‟-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten, BZAW 365, Berlin/New York, (71-102) 82ff. Es bleibt unverständlich, warum der Verf. die sepaer hattôrā-Belege in Dtn 28,58.61; 29,20; 30,10, die vor der Verschriftungsnotiz in Dtn 31,9 stehen und also in synchroner Lektüre nicht auf das Deuteronomium zu beziehen sind, nicht auf das Bundesbuch der Sinaiperikope bezieht, obwohl für ihn dies, wie er einräumt, in synchroner Perspektive „verlockend‟ zu sein scheint. N. Lohfink, Zur Fabel in Dtn 31-32, in: R. Bartelmus u. a. (Hg.), Konsequente Traditionsgeschichte. FS K. Baltzer, OBO 126, Freiburg/Br. 1993, 255–279, hat um einer innerdeuteronomischen Lösung willen zu einer sich vom Text weit entfernenden Fabelrekonstruktion Zuflucht genommen, was der Verf. mit J.-P. Sonnet ablehnt. Stattdessen will der Verf. den „Zweitleser‟ einsetzen, was eine narratologische Verlegenheitslösung ist, obwohl seiner Meinung nach in der mosaischen Darstellung des Horebbundes das Bundesbuch „mitschwinge‟. Der Verf. wird geahnt haben, stellt er hier in Dtn 28-30 einen Zusammenhang mit dem Bundesbuch her, was seinem Bemühen, das Deuteronomium „als integralen Bestandteil des Pentateuch‟ zu interpretieren, entsprechen würde, die Büchse der Pandora öffnen würde und eine einseitige Sicht auf die Geschichtsrezeption überwunden werden müsste zugunsten auch der der Rechtsrezeption. So übersieht er, dass in Dtn 28-30 bereits die Gesichtspunkte der Rechtsrevision des Bundesbuches genannt sind.

17 Siehe N. Lohfink, Prolegomena zu einer Rechtshermeneutik des Pentateuch, in: G. Braulik (Hg.), Das Deuteronomium, ÖBS 23, Frankfurt a. M. 2003, 11–55.

18 Siehe E. Otto, Die Rechtshermeneutik im Pentateuch und in der Tempelrolle, in: R. Achenbach/M. Arneth/E. Otto, Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformationen, BZAR 7, Wiesbaden 2007, 72–121.

19 Wenn der Verf. meint, in dieser Interpretation sei der Horebbund „bar jeder Relevanz für die Gegenwart‟, so reitet er gegen Windmühlen. Ältere Konzeptionen werden durch Fortschreibung im hegelschen Sinne in die jüngeren Konzeptionen „aufgehoben‟, was keineswegs bedeutet, dass sie „bar jeder Relevanz für die Gegenwart‟ – welche Gegenwart ist hier gemeint? – seien. Schon der literarische Befund des Textes des Deuteronomiums spricht dagegen. Wäre die Aufhebung der Relevanz der Fall, hätte man den Horebbund nicht weiter im Deuteronomium tradiert. Der Sinaibund und seine mosaische Interpretation im Deuteronomium hat vielmehr zusammen mit der Sinaitora in Gestalt von Dekalog und Bundesbuch rechtshermeneutisch fundierende Funktion im Deuteronomium. Soweit die synchrone Lesung. Dass die diachrone Analyse in der Relationierung der Bundesschlüsse im dtr Deuteronomium vor Einbindung in den Pentateuch eine Diskussion zwischen zwei Konzeptionen erkennbar macht, lässt überhaupt erst die komplexe Stellung der beiden Bundesschlüsse im Text des Deuteronomiums nach Dtn 4,45 und Dtn 28,69 als Voraussetzung einer synchronen Interpretation verständlich werden. Dass gerade an dieser Stelle des Deuteronomiums ein literaturgeschichtlich gewordener Gestaltungswille erkennbar wird, befreit die synchrone Analyse von dem Zwang, diese Textstruktur aus dem synchronen Textverständnis als ursprünglich ableiten zu müssen. Vielmehr kommt es in synchroner Analyse darauf an, die Textstruktur in ihrem historisch gewachsenen Sosein auf die damit gegeben Sinngehalte hin zu interpretieren. Nicht zuletzt Verfahren antiker Buchproduktion des blockweisen Vorbaus, die u. a. K. van der Toorn, Scribal Culture and the Meaning of the Hebrew Bible, Cambridge/Mass. 2007, 143ff., aufzeigt, sind dafür verantwortlich, dass Dtn 1-3 und Dtn 4 in literaturhistorisch deutlich zu differenzierenden Phasen vor die Überschrift Dtn 4,45 gestellt wurden, so dass Israel in Dtn 5 wieder als am Horeb befindlich dargestellt wird, den es in Dtn 1 verlassen hat. Die synchrone Analyse kann sehr wohl aufzeigen, dass dem Text im Ganzen des Deuteronomiums ein Sinn zukommt, der aber nicht der Ursprung dieser Textanordnung ist. Das gleiche gilt für die Stellung von Dtn 4 als „Paränese‟ zusammen mit dem Geschichtsrückblick in Dtn 1-3 vor der Überschrift in Dtn 4,44-45; siehe dazu N. MacDonald, The Literary Criticism and Rhetorical Logic of Deuteronomy I-IV, VT 56, 2006, 203–224, der aber den Zusammenhang zwischen Dtn 1-3 und Dtn 4 in allgemein bleibenden theologischen Topoi wie der Erwählung Israels sieht.

20 Siehe E. Otto, Singing Moses. His Song in Deuteronomy as a Canonical Link between Tora, Prophets and Psalms, in: D. Human u. a. (Hg.), Torah in Prophets and Psalms (erscheint in LHB/OTS, London/New York: T&T Clark, 2009). Eine Auslegung des Deuteronomiums wird erst dort „kanonisch‟, wo es nicht nur als Teil des Pentateuch begriffen wird, sondern die literarischen Relationen mit den beiden anderen Kanonsteilen, insbesondere dem corpus propheticum, erkannt wird. Die Einheit des Kanons ist die Summe der Diskurse, die innerhalb und zwischen den Kanonsteilen geführt wurde. Siehe dazu H. Najman, Seconding Sinai. The Development of Mosaic Discourse in Second Temple Judaism, JSJ.S77, Leiden/Boston 2003; E. Otto, Jeremia und die Tora. Ein nachexilischer Diskurs, in: R. Achenbach/M. Arneth/E. Otto, Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformationen, BZAR 7, Wiesbaden 2007, 134–182.

21 Siehe dazu E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch (FAT 30), 129–155.

22 Siehe nur Dtn 2–3; 6–8; 11–28; 32-34. Man darf bezweifeln, dass auf diese eklektische Vorgehensweise „kanonische‟ Einheit des Textes konstituiert wird. Es wäre plausibler, der Verf. hätte sich auf die diachrone Forschung gestützt, die nahe an den „Endtext‟ des Pentateuch heranführt und die synchrone Analyse als Abschluss und Vollendung der diachronen Begriffe, anstatt die Einheit des Textes unter Berufung auf den Kanon vorauszusetzen. Dort, wo nun tatsächlich eine Kanonorientierung hätte Platz haben sollen, nämlich im Lied des Mose in Dtn 32 und seiner narrativen Rahmung in Dtn 31-32, findet sich eine Leerstelle in Bezug auf den Kanon und stattdessen eine diachrone Spekulation über das „kanonische‟ Deuteronomium in der Exilszeit. Man darf die erneut aufgebrochene Methodendiskussion als „produktiven Kampfplatz‟ (I. Kant) begreifen. Das aber setzt voraus, die Berechtigung von Gegenpositionen zu akzeptieren und nicht, wie der Verf., durch Argumentationschlichés zu verdunkeln, was ein Mindestmaß auch an Selbstreflexivität des eigenen methodischen Tuns erfordern würde. Doch allein damit ist es nicht getan. Um die Analogie des platonischen Höhlengleichnisses zu bemühen, so befand sich ein voraufklärerisches Schriftverständnis mit dem Bemühen, die Schrift auszulegen, in einer ersten Höhle, um ihren Wahrheitsgehalt zu erkennen. Der moderne Ausleger aber ist in einer zweiten, sehr viel tieferen Höhle historischen Bewusstseins gefangen und er muss lange Treppen besteigen, um dem historisch in seinem Werden begriffenen Text gerecht zu werden, und um schließlich historisch aufgeklärt in die erste Höhle zu gelangen. Es sollte sich verbieten, in antimoderner Attitude und weil man den langen Weg scheut, zu behaupten, es gebe nur die erste Höhle, wie man sich auch hüten sollte, auf den langen Treppen von der zweiten zur ersten Höhle aufzugeben und die erste Höhle nicht zu erreichen – unsere Wege zum Verständnis des Texts sind heute länger denn je, da sich zeigt, dass es nicht reicht, sich nur in einer der Höhlen aufzuhalten. Zum Zusammenspiel von diachroner und synchroner Auslegung des Deuteronomiums siehe E. Otto, Perspektiven der neueren Deuteronomiumsforschung, ZAW 119, 2007, 319-340 (siehe auch ders., in: K. Spronk [Hg.], Amsterdams Cahiers voor Exegese van de Bijbel en zijn Tradities 23, Amsterdam 2007, 12–22); ders., Das Gesetz des Mose (Darmstadt 2007), 85ff.118ff.

23 Die Lektüre des Buches wird dadurch erschwert, dass es sich über weite Strecken als Collage von Zitaten und Belegstellen von Meinungen der Sekundärliteratur gibt. Die überwiegende Mehrzahl der vom Verf. zitierten oder als Belege für seine synchrone Interpretation in Gestalt eines Textamalgams genannten Studien sind diachron gearbeitet. Dieser Widerspruch ist dem Verf. ganz offensichtlich nicht deutlich geworden. Eine Korrespondenz zwischen seinem Umgang mit dem biblischen Text und der exegetischen Literatur ist unverkennbar.

24 Um den Zusammenhang von Diachronie und Synchronie positiv reflektieren und nicht nur polemischen Clichés Raum geben, sei auf die Rezeption von M. Heideggers Ausführungen zu „Erbe und Schicksal‟ in Sein und Zeit § 74 in jüdischer Religionsphilosophie des 20. Jh. verwiesen. Das dort Gesagte könnte sich auch positiv in der Methodik der Bibelinterpretation niederschlagen. Dass eine kanonische Interpretation der Hebräischen Bibel und diachroner Zugang sich nicht ausschließen, zeigt eindrucksvoll die Studie von L. Zaman, Bible and Canon. A Modern Historical Inquiry, SSN 50, Leiden/Boston 2008. Siehe dazu meine Rezension in diesem Jahrgang der ZAR.

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