Weiter zum Inhalt

Anmerkungen zu Max Webers Charismakonzept


Seiten 195 - 213

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.11.2005.0195




Hannover

Prof. Dr. Hubert Treiber, MA, Lic., Juristische Fakultät, Universität Hannover, Postfach 6047, D-30060 Hannover (e-mail: treiber@vww.uni-hannover.de)

1 Ich danke Stefan Breuer (Hamburg) und Eckart Otto (München) für wichtige Hinweise und Anregungen.

2 Henry Thode: Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien. Berlin 1885, S. 526.

3 „Erbringen“ ist absichtlich gewählt, um den Leistungscharakter dieser Zuschreibung zum Ausdruck zu bringen. Winfried Gebhardt (Charisma als Lebensform. Zur Soziologie des alternativen Lebens. Berlin 1994, S. 35) stellt ebenfalls darauf ab, daß es sich beim Charisma um einen Glauben handelt, „der auf Personen, aber auch auf Ideen und Gegenstände projiziert wird, als ob diesen eine besondere ‚Qualität’ innewohne.“

4 M. Rainer Lepsius: Das Modell der charismatischen Herrschaft und seine Anw endbarkeit auf den ‚Führerstaat’ Adolf Hitlers, in: ders.: Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Göttingen 1993, S. 95–118, insb. S. 95–100, stellt bei der Charakterisierung des „Modells der charismatischen Herrschaft“ ebenfalls auf die besondere „Struktur der charismatischen sozialen Beziehung“ ab

5 Vgl. WuG, S. 245f.: „Das Charisma kann entweder (…) eine schlechthin an dem Objekt oder der Person, die es nun einmal von Natur besitzt, haftende, durch nichts zu gewinnende, Gabe sein.“ Von H.G. Kippenberg (Einleitung, in: Hans G. Kippenberg/Martin Riesebrodt (Hg.): Max Webers ‚Religionssystematik’. Tübingen 2001, S. 1–12, S. 6f.) stammt der Hinweis: „Die Metapher vom ‚haften’ der Werte an Objekten oder Personen hat ihre Wurzeln in der Wertphilosophie Heinrich Rickerts. Für den Rickert der Jahre 1913/14 galt, daß Werte nicht direkt erkannt werden können, sondern nur indirekt, insofern sie an Objekten (Personen oder Handlungen) ‚haften’.“

6 Vgl. Stefan Breuer: Das Legitimitätskonzept Max Webers, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hg. v. Dietmar Willoweit unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner. München 2000, S. 1–17, S. 16.

7 Daß man damals recht unbefangen den Führerbegriff benutzen konnte, zeigen beispielsweise Arbeiten des Troeltsch-Freundes Wilhelm Bousset (1865–1920), der sogar von „Jesus als Führer“ spricht. Siehe Klaus Berger: Nationalsoziale Religionsgeschichte. Wilhelm Bousset (1865–1920), in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.): Profile des neuzeitlichen Protestantismus. Gütersloh 1993, Bd. 2: Kaiserreich. Teil 2, S. 279–294, insb. S. 287ff. Auch kann Bousset als Beispiel dafür herangezogen werden, daß exegetisch-historische Arbeit nicht in jedem Fall als politisch unbefangen anzusehen ist, ja eine Verknüpfung zwischen exegetischer Position und praktischem Interesse durchaus gewollt ist. So wird bei Bousset „eine Modellvorstellung aus [seinem] politischen Wirken [im Rahmen des Nationalsozialen Vereins Friedrich Naumanns mit einer sozialen und monarchisch-nationalen Ausrichtung] theologisch wichtig: der ‚Eine’ als das Gegenüber zur ‚Masse’. Die Eigenart der politischen Ausrichtung der Nationalsozialen lag in der konsequenten Verbindung der ‚Masse’ auf der einen mit der Figur des ‚Kaisers' auf der anderen Seite. Dieser von den Nationalsozialen gewünschte plebiszitäre Cäsarismus hat bedeutende Analogien im Denken Wilhelm Boussets, insbesondere in der Christologie“ – unter dem Einfluß einer Carlyle-Lektüre. Zu dieser bemerkt Berger (1993, S. 288): „Schon Carlyle hatte auch Jesus unter diese großen Führerpersönlichkeiten eingeordnet, und Bousset wird in seinem Gefolge Jesus und Paulus als solche Führer bezeichnen. Für Boussets Vorstellung vom urchristlichen Gottesdienst wurde es dabei wichtig, daß er die von Carlyle geprägte Formel des ‚hero-worship’ nicht als ‚Verehrung des großen Mannes’, sondern als Kult des Führers verstand. Für Bousset war Carlyle also wichtig, weil er das Gegenüber von Masse und großer Persönlichkeit gerade um der Lösung sozialer Probleme willen betont hatte.“ Vgl z.B. W. Bousset: Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum. Ein religionsgeschichtlicher Vergleich. Göttingen 1892 (dort u.a. die Formulierung: Jesus „wußte sich ihnen gegenüber als die unbedingte Auktorität, als Führer und Held, dem alle unbedingt Folge zu leisten hatten“ (S. 125); sowie ders.: Jesus. Halle 1904 (S. 102). Zu Naumanns Forderung nach einem „neudeutschen Cäsarismus“ vgl. S. Breuer: Corollarien II: Cäsarismus, in: ders.: Bürokratie und Charisma. Zur Politischen Soziologie Max Webers. Darmstadt 1994, S. 202–208, S. 202, mit Hinweis auf Elisabeth Fehrenbach: Wandlungen des deutschen Kaisergedankens, 1871–1918. München 1969, S. 202ff. – Auch Adolf Deissmann: Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze. Tübingen 1911, S. V, nennt den Apostel bereits im Vorwort eine „welthistorische Führerpersönlichkeit.“

8 Vgl. Wolfgang Schluchter: Religion und Lebensführung. Bd. 2: Studien zu Max Webers Religions- und Herrschaftssoziologie. Frankfurt/Main 1991, S. 544.

9 Vgl. Schluchter (1991/2), S. 544.

10 Dieser Vorschlag macht „Veralltäglichung“ zum Oberbegriff. Von Schluchter (1991/2, S.239ff. u. 545ff.) weicht dieser Vorschlag insofern ab, als dieser den Begriff der Veralltäglichung für Fälle der Bindung an äußere Regeln (wie bei der Nachfolgerdesignation) und den Begriff der Versachlichung für Fälle der „Transposition [des Charisma] ins Institutionelle“ reserviert. Allerdings hatte Schluchter in einer seiner früheren Arbeiten (Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Gesellschaftsgeschichte. Tübingen 1979, S. 187) zwischen Veralltäglichung und Versachlichung des Charisma dahingehend eine Unterscheidung angemahnt, daß „sich Veralltäglichung auf die strukturelle, Versachlichung auf die entwicklungsgeschichtliche Problematik“ beziehen soll: „Veralltäglichung des Charisma bedeutet, daß jede charismatische Herrschaft dahin tendiert, sich aus strukturellen Gründen entweder zu traditionalisieren oder zu rationalisieren, daß dabei die charismatischen Qualitäten entweder streng an konkrete Personen gebunden bleiben oder aber an Institutionen übergehen. Versachlichung des Charisma aber bedeutet, daß sich der Charakter der Sendung in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive verändert, daß aus der magisch bedingten die religiös bedingte und schließlich die durch Vernunft bedingte Sendung wird. Versachlichung sollte man also nicht als eine Variante der Veralltäglichung verstehen.“

11 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht. 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 233f.

12 Durchaus im Rahmen eines immer noch personal verstandenen Herrschaftsgefüges (Kirche als „Braut Christi“).

13 Auch wenn beim Gentil- und Erbcharisma die Vorstellung vorherrscht, das Charisma sei eine „Qualität des Blutes“, so läßt sich diese nur über ausgeklügelte äußere Heirats- und Erbregeln „ermitteln“. Insofern gehen hier Versachlichung und Institutionalisierung (Dauergebilde der Sippe) Hand in Hand.

14 Vgl. den Art. „Kanonisirung von Schriften“ bei Franz Overbeck. Werke und Nachlaß. Bd. 5: Kirchenlexicon Texte. Ausgewählte Artikel J-Z, hg. v. Barbara v. Reibnitz, in Zusammenarbeit mit Marianne Stauffacher-Schaub. Stuttgart, Weimar 1995, S. 65f., S. 65: „Indem durch Kanonisir[un]g Schriften zu einer Norm für alle Zeiten werden, (…).“

15 Vgl. S. Breuer: Das Charisma der Vernunft, in: Winfried Gebhardt/Arnold Zingerle/Michael N. Ebertz (Hg.): Charisma. Theorie-Religion-Politik. Berlin, New York 1993, S. 159–184, S. 160.

16 Vgl. Guenther Roth: Politische Herrschaft und persönliche Freiheit. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen 1983. Heidelberg 1987, S. 147.

17 Vgl. W. Schluchter: Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Tübingen 1979, S. 187.

18 Vgl. S. Breuer: Magisches und Religiöses Charisma: Entwicklungsgeschichtliche Perspektiven, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 41 (1989), S. 215–240, S. 215.

19 Vgl. Schluchter (1979), S. 184ff.

20 Vgl. S. Breuer: Der archaische Staat. Zur Soziologie charismatischer Herrschaft. Berlin 1990; ders.: Max Webers Herrschaftssoziologie. Frankfurt/Main; New York 1991, S. 35–67.

21 Vgl. S. Breuer (1989), S. 232; Breuer (1991), S. 60.

22 Vgl. Breuer (1991), S. 65.

23 WG= Wirtschaftsgeschichte von Max Weber. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschafts-Geschichte, hg. v. S. Hellmann u. M. Palyi. München, Leipzig 1924. Zu Webers „Tag von Antiochien“ vgl. den ausgezeichneten Beitrag von Thomas Schmeller: Das paulinische Christentum und die Sozialstruktur der antiken Stadt. Überlegungen zu Webers ‚Tag von Antiochien’, in: Hinnerk Bruhns/ Winfried Nippel (Hg.): Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich. Göttingen 2000, S. 107–118.

24 Friedrich Wilhelm Graf (Max Weber und die protestantische Theologie seiner Zeit, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 39 (1987), S. 122–147, insb. S. 129ff.) hat schon relativ früh darauf aufmerksam gemacht, daß Webers „Stilisierung der Propheten zu Trägern einer rationalen religiösen Ethik des innerweltlichen Handelns“ auf Hermann Gunkel und damit auf ein von der sog. „Religionsgeschichtlichen Schule“ geprägtes Prophetenbild zurückzuführen ist.

25 Vgl. Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild. Mit einem Essay von Günther Roth. München, Zürich 1989, S. 484. Marianne Weber zitiert aus Max Webers Gedenkrede auf G. Jellinek. Vgl. auch die von Weber (Die protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus [PE], hg. u. eingeleitet von Klaus Lichtblau u. Johannes Weiß. Bodenheim 1993, S. 91f., Fn. 147 sowie S. 188f. [290]) gemachte Bemerkung: „Für die Geschichte der Entstehung und politischen Bedeutung der ‚Gewissensfreiheit’ ist bekanntlich Jellineks ‚Erklärung der Menschenrechte’ grundlegend. Auch ich persönlich verdanke dieser Schrift die Anregung zu einer erneuten Beschäftigung mit dem Puritanismus.“ (PE, S. 92, Fn.). – C.J. Friedrich hat an abgelegener Stelle [Ruperto Carola 5 (1951), S. 24f.] auf die hinter Jellineks Entdeckung stehenden Zusammenhänge aufmerksam gemacht und zugleich an dieser Entdeckung eine Korrektur vorgenommen. Unter Berufung auf W. Windelbands Einführung in Jellineks Schriften und Reden weist Friedrich darauf hin, daß dieser „die letzten Prinzipien, auf denen er seine Lehren vom Recht und Staat aufgebaut hat, in den ursprünglichen Rechten der Persönlichkeit“ suchte. Für Windelband sei es klar gewesen, „daß Jellinek einen Glauben an das Urrecht des Menschen hatte, und daß dieser Glaube religiös verwurzelt war. G. Jellinek hat in seiner berühmten Abhandlung über die Menschenrechte (…) gefragt, wie es dazu gekommen sei, daß die alten naturrechtlichen Prinzipien sich in verfassungsmäßig und gesetzlich formulierte Rechtssätze verwandelt hätten. Und er hatte dann in diesem Zusammenhang die Doppelthese aufgestellt, daß einmal diese Formulierung nicht erst aus der französischen Revolution stamme, sondern aus den Religionskämpfen des 17. Jahrhunderts hervorgegangen sei, und daß daher die Religionsfreiheit [Freedom of Conscience] (…) das erste und wichtigste Recht gewesen sei, das gesetzlichen Ausdruck in einer Verfassungsvorschrift fand.“ (S. 24). Friedrich weist ferner darauf hin, daß „diese These in ihrer vollen Einseitigkeit heute wohl nicht mehr zu halten“ sei und gibt zu bedenken: „Wenn man die Dokumente der Revolution und ihre Vorläufer, wie die Grand Remonstrance, (…) prüft, so zeigt sich, daß es sowohl das Recht auf das Eigentum, wie das Recht auf die religiöse Überzeugung waren, die im Mittelpunkt des Interesses standen. Und noch tiefer und weiter dahinter stand die Frage der großen Verfahrensrechte, insbesondere Habeas Corpus.“ (S. 24). Im Art. „Menschenrechte“ (RGG1, Bd. IV (1913), Sp. 293–296, Sp. 294) wird bereits ausgeführt: „Der Satz Jellineks (s. Lit.), daß in der Handhabung der Toleranz die Lehre von den M.n zuerst praktisch geworden, und daß aus den religiösen Freiheiten die politischen M. herausgewachsen seien, ist also wohl nicht haltbar; (…).“ – Ernst Troeltsch (Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, in: Historische Zeitschrift, Bd. 97 (1906), S. 1–66, S. 39ff.) dagegen preist Jellineks Darlegung als „eine wirklich erleuchtende Entdeckung“, gibt aber zu bedenken, daß Gewissensfreiheit und Toleranzidee „nicht eigentlich das Werk des Protestantismus“ seien, sondern „ein Werk des neubelebten und mit dem radikalisierten Calvinismus verschmolzenen Täufertums (…).“ – Der Text von Jellineks Schrift (in der 4. Aufl. von 1927 unter Verwendung der von ihm zur Vorbereitung der 3. Aufl., die er nicht mehr erlebt hat, getätigten Vorarbeiten und Anmerkungen) sowie die mit Emile Boutmy geführte Auseinandersetzung sind leicht zugänglich in: Roman Schnur (Hg.): Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte. Darmstadt 1974. Vgl. auch Michael Stolleis: Georg Jellineks Beitrag zur Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, in: Stanley L. Paulson/ Martin Schulte (Hg.): Georg Jellinek – Beiträge zu Leben und Werk. Tübingen 2000, S. 103–116. Ferner: Hans Joas: Max Weber und die Entstehung der Menschenrechte. Eine Studie über kulturelle Innovation, in: Gert Albert/ Agathe Bienfait/ Steffen Sigmund/ Claus Wendt (Hg.): Das Weber-Paradigma. Studien zur Weiterentwicklung von Max Webers Forschungsprogramm. Tübingen 2003, S. 252–270.

26 Vgl. WuG, S. 726.

27 Vgl. Breuer 1993, S. 181; Gebhardt 1994, S. 91.

28 Vgl. Robert Darnton: Die Hochaufklärung und die Niederungen des literarischen Lebens, in: ders.: Literaten im Untergrund. Lesen. Schreiben und Publizieren im vorrevolutionären Frankreich. München, Wien 1985, S. 11–43.

29 Vgl. Alexis de Tocqueville: Der alte Staat und die Revolution. Reinbek 1969, S. 124.

30 Vgl. Wilfried Nippel: Charisma und Herrschaft, in: ders. (Hg.): Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao. München 2000, S. 7–22, insb. S. 12ff.

31 Zu der wechselhaften Begriffsgeschichte des „Cäsarismus“ bei Weber vgl. den Exkurs bei Breuer (1994, S. 202–208) sowie entsprechende Ausführungen Breuers (1994, S. 176–187) mit dem Titel „Die vier reinen Typen der Demokratie. Ein Vorschlag zur Systematisierung“. Dort unterscheidet dieser als vierten reinen Typus die „plebiszitäre Demokratie“ mit weiteren Unterformen, zu denen u.a. eine „autoritäre Version“ zählt, bei der „die gesetzgebende und ausführende Gewalt“ in der Hand des plebiszitären Führers liegt (S. 183). Diese „autoritäre Version“ kann weiter danach differenziert werden, ob der plebiszitäre Führer per Putsch bzw. durch Staatsstreich oder durch eine „freie Willenskundgebung der Beherrschten“ an die Macht gelangt. Ist das letztere der Fall, kann von einer „demokratischen Diktatur“ gesprochen werden. Denkt man hierbei an die Diktatur Mussolinis, so ist diese allerdings nicht deckungsgleich mit dem eben angesprochenen Typus der „demokratischen Diktatur“, weil Mussolinis Diktatur das Merkmal einer „auf charismatischer Vergemeinschaftung beruhende(n) Partei mitsamt den für die Faschismen typischen Privatarmeen“ nicht aufweise (S. 184). – Das Merkmal der „demokratischen Investitur“ verweist auf einen weiteren reinen Typus, den Breuer mit dem Etikett der „Gefolgschaftsdemokratie“ belegt, bei der sich der Führer als „Verkörperung des empirischen Volkswillens“ sieht (S. 181). Dieser komme durch Wahlen zum Ausdruck, wodurch dem Führer Anerkennung verliehen wird. Mussolinis Herrschaft kann diesem Typus zugerechnet werden, auch wenn diese eine „bonapartistische Wendung nahm, die die bürokratischen Staatsapparate im Prinzip unberührt ließ“ (S. 181), – anders als Hitlers Radikalfaschismus, der das institutionelle Gefüge des Staatsapparats fragmentierte. Vgl. hierzu S. Breuer: Faschismus in Italien und Deutschland: Gesichtspunkte zum Vergleich, in: ders.: Aspekte totaler Vergesellschaftung. Freiburg 1985, S. 199–225 (ursprünglich in: Leviathan 11 (1983), S. 28–54); ferner Maurizio Bach: Die charismatischen Führerdiktaturen. Drittes Reich und italienischer Faschismus im Vergleich ihrer Herrschaftsstrukturen. Baden-Baden 1990; sowie M. Rainer Lepsius: Das Modell der charismatischen Herrschaft und seine Anwendbarkeit auf den „Führerstaat“ Adolf Hitlers, a.a.O., S. 95–118. Rongfen Wang (Cäsarismus und Machtpolitik. Eine historisch-biobibliographische Analyse von Max Webers Charismakonzept. Berlin 1997) wäre Breuers (Das Charisma des Führers, in: ders.: Bürokratie und Charisma, 1994, S. 145) These entgegenzuhalten, daß „das Konzept der plebiszitären Führerdemokratie nicht in einer Kontinuität mit dem Nationalsozialismus steht, sondern im Gegenteil den – wie immer auch problematischen – Versuch darstellt, die charismatischen Tendenzen der modernen Massendemokratie zu domestizieren.“ – Zur Verwendung des Führerbegriffs in der Weimarer Republik vgl. Klaus Schreiner: „Wann kommt der Retter Deutschlands?“ Formen und Funktionen von politischem Messianismus in der Weimarer Republik, in: Saeculum 49 (1998), S. 107–160. Noch inflationärer dürfte in dieser Zeit der Begriff der „Gemeinschaft“ resp. „Volksgemeinschaft“ gehandelt worden sein, wobei oft genug übersehen wird, daß weit vor 1933 auch deutsche Rechtshistoriker, vornehmlich juristische Germanisten, von der Sehnsucht nach der Einheit stiftenden „Volksgemeinschaft“ erfüllt waren und danach ihr Bild von der deutschen Rechtsvergangenheit ausmalten. Vgl. Andrea Nunweiler: Das Bild der deutschen Rechtsvergangenheit und seine Aktualisierung im „Dritten Reich“. Baden-Baden 1996 sowie H. Treiber: Die „Wieder-)Geburt der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ aus dem Geist der deutschen Rechtsgeschichte – Eine Skizze, in: Keebet von Benda-Beckmann/ André Hoekema (Hg.): Over de grenzen van gemeenschappen. Gemeenschap‚ staat en recht. 's-Gravenhage 1998, S. 93–108.

32 Vgl. Eckart Otto: Die Tora in Max Webers Studien zum Antiken Judentum. Grundlagen für einen religions- und rechtshistorischen Neuansatz in der Interpretation des biblischen Rechts, in: Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 7 (2001), S. 1–188; ders.: Max Webers Studien des Antiken Judentums. Historische Grundlegung einer Theorie der Moderne. Tübingen 2002.

33 Wie sehr die Ansicht, es gebe ein „prophetisches Zeitalter“ (das „achte, siebente und sechste vorchristliche Jahrhundert“) mit einzelnen „großen [schöpferischen] Persönlichkeiten,“ die sich „gegen das Urteil der Gesamtheit, gegen Sitte, Recht, Herkommen, Tradition (auflehnen),“ Ende des 19. Jahrhunderts zur herrschenden Meinung geworden war, zeigt anschaulich die 1903 veröffentlichte Schrift von Wilhelm Bousset: Das Wesen der Religion dargestellt an ihrer Geschichte“ (Halle, a.a.O., S. 102f.).

34 Vgl. Otto 2001, S. 136, PE: 1993, S. 178 [163]. Welche fundamentale Bedeutung der jüdischen Prophetie in Webers Theorie der Rationalisierung zukommt, hat Wolfgang J. Mommsen (Max Weber, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker III. Göttingen 1972, S. 65–90, S. 76) auf den Punkt gebracht: „Zugleich entdeckte [Max Weber] in der jüdischen Prophetie eine neue, ihn persönlich faszinierende Quelle ‚rationaler Lebensführung’, die jener der puritanischen Religiosität nahezu ebenbürtig, in mancher Hinsicht sogar überlegen zu sein schien, und die für seine idealtypische Konstruktion des ‚Charisma’ als einer schlechthin revolutionären Kraft in der Weltgeschichte fundamental gewesen ist. Zweierlei ergab sich als übergreifende Erkenntnis: einerseits, daß allein konsequente Orientierung an überalltäglichen Wertidealen, sei es in Form der puritanischen Morallehre, sei es in Form der Hingabe an die Ansprüche eines prophetischen Charisma, eine konsequent rationale Lebensführung erzeugen könne, und zum anderen, daß der dadurch in Gang gesetzte Prozeß der Rationalisierung vermutlich irreversibel sei und voraussichtlich die gänzliche ‚Entzauberung der Welt’ zur Folge haben werde.“

35 Artikel: „Agrarverhältnisse im Altertum“, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Aufl., 2. Supplementband, Jena 1897, S. 1–18; 2. Aufl., Jena 1898, S. 57–85; 3. Aufl., Jena 1909; S. 52–188 (= Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. 2. Aufl., Tübingen 1988, S. 1–288)// Artikel: „Agrargeschichte I. Altertum“, in: RGG1, 1909, Sp. 233–237// „Die protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus“ (Ausgabe: Lichtblau/Weiß, Bodenheim 1993)// „Einleitung“ und „Zwischenbetrachtung“, in: „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus“. Schriften 1915–20, MWG I/19, S. 83–127 sowie S. 479–522// „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1917–1920// „Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie“. Tübingen 1920, Bd. 1 (GARS I) und Bd. III (GARS III); „Vorbemerkung“, in: GARS I, S. 1–16// „Rechtssoziologie“, in: WuG, S. 387–513// „Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“. Nachlaß. Teilband 2: „Religiöse Gemeinschaften“ (MWG I/22–2)// „Soziologie der Herrschaft“, in: WuG, S. 541–868, insb. S. 688–868.

36 Otto (2002, S. 190f.) erinnert in diesem Zusammenhang u.a. daran, daß Weber in einem Brief an D. Jellinek vom 9.06.1910 den Charisma-Begriff verwendet (MWG II/6, S. 560f.).

37 Vgl. Thomas Kroll: Max Webers Idealtypus der charismatischen Herrschaft und die zeitgenössische Charisma-Debatte, in: Edith Hanke/ Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Max Webers Herrschaftssoziologie. Studien zur Entstehung und Wirkung. Tübingen 2001, S. 47–72. Kroll stellt Sohms Überlegungen zur charismatischen Organisation des Urchristentums und zur Entstehung des Katholizismus kenntnisreich dar und macht auf wichtige Anleihen Max Webers bei Sohm aufmerksam (z.B. S. 70f.), nicht zuletzt auf dessen Vorbildfunktion für Webers Theorie der Veralltäglichung des genuinen Charisma.

38 Vgl. Martin Riesebrodt: Charisma, in: Hans G. Kippenberg/ Martin Riesebrodt (Hg.): Max Webers ‚Religionssystematik’. Tübingen 2001, S. 151–166. Vgl. auch die eher zurückhaltenden Einlassungen Breuers (Magie, Zauber, Entzauberung, in: Kippenberg/ Riesebrodt (Hg.): a.a.O., S. 119–130, insb. S. 126ff.) zu Marett als einer unmittelbaren Quelle für Webers Charisma-Begriff.

39 Vgl. hierzu auch E. Otto: „I. Recht/Rechtswesen im Alten Orient und im Alten Testament“, Art. „Recht/ Rechtstheologie/ Rechtsphilosophie I“, in: Theologische Realenzyklopädie. Berlin, New York 1997, Bd. XXVIII, S. 197–209, insb. S. 202ff. („5. Recht und Gerechtigkeit in Israel und Juda“); ders.: Theologische Ethik des Alten Testaments. Stuttgart, Berlin, Köln 1994, insb. S. 12ff., S. 103ff., S. 180ff. sowie S. 219ff.

40 Eine der ersten kritischen Stellungnahmen zu Webers Prophetenverständnis hat Bernhard Lang vorgelegt; ders.: Max Weber und Israels Propheten, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 36 (1984), S. 156–165, insb. S. 158ff. Siehe auch dessen Beitrag „Prophet, Priester, Virtuose“, in: Hans G. Kippenberg/ Martin Riesebrodt (Hg.): Max Webers ‚Religionssystematik’. Tübingen 2001, S. 167–191. Jüngst: Eckart Otto: Die hebräische Prophetie bei Max Weber, Ernst Troeltsch und Hermann Cohen, in: Wolfgang Schluchter/ Friedrich Wilhelm Graf (Hg.): Asketischer Protestantismus und der „Geist“ des modernen Kapitalismus. Tübingen 2005, S. 201–255.

41 Vgl. E. Otto: Biblische Rechtsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Theologische Revue 91 (1995), Nr. 4, Sp. 284–292. Ferner: Bernd Janowski/ Matthias Köckert (Hg.): Religionsgeschichte Israels. Formale und materiale Aspekte. Gütersloh 1999.

42 Vgl. E. Otto: Kontinuum und Proprium. Studien zur Sozial und Rechtsgeschichte des Alten Orients und des Alten Testaments. Wiesbaden 1996, S. 197–209, insb. S. 202ff. u. S. 204.

43 Vgl. hierzu auch Hartmann Tyrell: Katholizismus und katholische Kirche, in: Hartmut Lehmann/Jean Martin Ouédraogo (Hg.): Max Weber Religionssoziologie in interkultureller Perspektive. Göttingen 2002, S. 193–228, insb. S. 211ff. (mit dem Hinweis auf A. Harnacks „Die Mission und Ausbreitung des Christentums“, dessen 2. Aufl. 1906 Weber von diesem zugeschickt bekommen hat).

44 Adolf Deissmann (Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt. Tübingen 1908, S. 286) spricht von „Christusgenossenschaften“. Zur Problematik der Gemeindebildung wie zu den dabei auseinanderzuhaltenden Typen vgl. Otto Gerhard Oexle: Max Weber und das Mönchtum, in: Hartmut Lehmann/ Jean Martin Ouédraogo (Hg.): Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive. Göttingen 2003, S. 311–334, insb. S. 311–315.

45 Vgl. W. Schluchter: Einleitung. Max Webers Analyse des antiken Christentums. Grundzüge eines unvollendeten Projekts, in: ders. (Hg.): Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik. Frankfurt/Main 1985, S. 11–71, S. 50; ferner: S. Breuer: Magie, Zauber, Entzauberung, in: H.G. Kippenberg/ M. Riesebrodt (Hg.): a.a.O., S. 125.

46 Zunächst handelte es sich um einen ethisch fundierten Erlöserkult, der dann zur Erlösungsreligion wurde.

47 Dies geschehe nicht wie in Babylonien mit Hilfe magischer Mittel, sondern „mittels der ethischen Priestertora“ (Otto 2002, S. 109).

48 Neben Holl und Sohm käme als weitere Quelle u.a. Erwin Rohdes „Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen“ (ND der 2. Aufl. 1898, Darmstadt 1991, z.B. II, S. 19ff.) in Betracht, worauf bereits H.G. Kippenberg: Einleitung, in: MWG I/22–2, S. 1–83, insb. S. 50–52, hingewiesen hat. Wie genau Weber Rohde gelesen hat, mag daraus ersichtlich sein, daß Weber die von diesem zitierte Arbeit N. Tsaknis mit dem Titel „La Russie Sectaire“ (1888) ebenfalls heranzieht mit auffälligen Parallelstellen (WuG, S. 500 – Tsakni 1888, S. 9ff. u. 240f.). Auch Adolf Deissmanns „Paulus. Seine Welt und seine Persönlichkeit“ (in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 4 (1910), Sp. 833–848; Sp. 875–888, insb. Sp. 887f.) wird gerne als mögliche Quelle genannt.

49 Vgl. E. Hanke: Max Webers „Herrschaftssoziologie“. Eine werkgeschichtliche Studie, in: Edith Hanke/ Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Max Webers Herrschaftssoziologie, a.a.O., S. 19–46.

Empfehlen


Export Citation