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Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für den Monotheismus. Zu einem Buch von Joachim Schaper

Jan Dietrich


Seiten 167 - 174

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.27.2021.0167




(Bonn)

1 Joachim Schaper, Media and Monotheism. Presence, Representation, and Abstraction in Ancient Judah, Tübingen 2019, XVII+297 S. = Orientalische Religionen in der Antike 33. Hartbd.

2 Vgl. beispielsweise M. Jursa u.a., Aspects of the Economic History of Babylonia in the First Millennium BC. Economic Geography, Economic Mentalities, Agriculture, the Use of Money and the Problem of Economic Growth (AOAT 377), Münster 2010.

3 Der Unterschied zwischen Hacksilber und Münzgeld wird auf S. 187 angedeutet, seine Bedeutung für die Abstraktionsleistung jedoch nicht ausgeführt.

4 R. Seaford, Money and the Early Greek Mind, Cambridge 2004, 7. Schaper nennt diesen zentralen Aspekt nicht, vgl. etwa S. 32f, 188f.

5 Vgl. Seaford, Money, besonders S. 175–317.

6 Schaper selbst muss zugeben: „There are considerably older texts from Mesopotamia which betray the fact that silver was used as money even then; with regard to the same practice being followed in Israel and Judah, Deut. 14:22–27 is one of the oldest traces of it in the Bible.” (S. 194)

7 Hinzu kommt, dass der Grad an Abstraktion in Dtn 14,22–27 auch noch aus einem weiteren Grund nicht so groß ist, wie Schaper ihn veranschlägt, denn die für (abgewogenes) Silber verkauften Opfergaben müssen in Jerusalem von dem (erneut gewogenen) Silbergeld in neuer natürlicher Form gekauft, im Rahmen eines festlichen Mahles in Freuden verspeist und als natürliche Opfergaben dem Tempel übergeben werden – anstatt einfach das Silbergeld als Opfergabe zu übergeben.

8 Seaford, Money, S. 213 Anm. 111, zitiert bei Schaper S. 206.

9 Anders steht es möglicherweise mit der Ausdifferenzierung des Religiösen und insbesondere des religiösen Wertes des Opfertieres aus dem rein ökonomischen Bereich. Diese Ausdifferenzierung findet sich beispielsweise in Lev 27,10, einem Vers, der es verbietet, ein dem Tempel gelobtes Tier gegen ein anderes auszutauschen, sei dieses andere Tier nun ökonomisch wertvoller oder minderwertig. Deutlich ist die Abstraktionsleistung ähnlich dem Münzgeld auch in Lev 1–5, weil hier ein Opferkatalog vorgegeben wird, in dem Opfertiere unterschiedlichen ökonomischen Wertes auf eine Stufe gestellt, mit dem jeweils gleichen religiösen Effekt ausgestattet und als einer gemeinsamen Opferkategorie zugehörig klassifiziert werden. Vgl. dazu J. Dietrich, Materialität und Spiritualität im altisraelitischen Opferkult: Religionsgeschichtliche Abstraktionsprozesse, Vetus Testamentum 71 (2021) S. 27–47.

10 Es fällt auf, dass der Verfasser anderen Autoren die Formel „fails / failed to see” häufiger zuschreibt.

11 Vgl. etwa S. 205: „material culture gave birth to social, and eventually intellectual, change.” Oder S. 230: „As our study has demonstrated, both the practice of writing and the use of money (through which the value-form permeates social being and its intellectual products), unleashed a mental individuation: the collective individuation (…) of which monotheism is an ‘image mythique’, as de Kerckhove puts it in his discussion of the effects of writing.” Vgl. auch S. 232 und passim. Zu einer vom Rezensenten vorgeschlagenen Modifizierung siehe unten.

12 Vgl. S. 139 und 165.

13 Vgl. S. 189.

14 Vgl. S. 180. Der Verfasser schließt sich unter anderem George Thomson an, der die Einheitsidee des Parmenides als „a reflex or projection of the substance of exchange value” bezeichnet (S. 207).

15 Für den Verfasser ist auch Ernst Cassirer zentral, der von einer „Art der ‚Projektion‘” schreibt, bei der „das Ich sich in seinen Produkten eine Art von ‚Gegenüber‘” schafft (S. 228). Im Rahmen von Cassirers Theorie hebt Schaper die symbolisch-unbewusste Kulturleistung des Monotheismus hervor und verweist auf einen Aufsatz Hendersons zum kulturellen Unbewussten (S. 15, vgl. auch S. 49). Henderson vertritt jedoch einen tiefenpsychologischen (an Jung angelehnten), keinen psychoanalytischenfreudianischen Zugang, dem Schaper ansonsten folgt. Im Sinne Schapers und im Sinne der Verbindung materialistischer und psychoanalytischer Theorien wäre eher auf die Arbeiten von beispielsweise Erich Fromm, Alfred Lorenzer, Mario Erdheim oder Rainer Funk zu verweisen. Zu dem Ansatz von Erich Fromm siehe im Folgenden.

16 Vgl. positiv S. 212–214, kritisch S. 214 und 222f. Auch wenn Schaper, in diesem Fall Assmann positiv aufnehmend, von der „Unterdrückung” von Bildern spricht, sind psychoanalytische Implikationen mit im Spiel (vgl. etwa S. 141 und passim).

17 Kritisch sind marxistische, psychoanalytische oder symboltheoretische Theorieentwürfe und ihre Anwendungen unter anderem dann zu betrachten, wenn sie nahezu „totalitär” mit der Formel „nichts anderes als” argumentieren, um komplexe menschliche Phänomene monokausal auf jeweils eine Ursache zurückzuführen. So sind selbst in den Worten Cassirers (den Schaper positiv zitiert) „die Göttergestalten des Mythos nichts anderes als die sukzessiven Selbstoffenbarungen des mythischen Bewußtseins.” (S. 228. Hervorhebung J.D.) Monokausal klingt z.B.: „we might say that the process which led to the ban on images and paved the way for monotheism can be described as having been triggered by the practice of writing and the experience of writing as a tool.” (231) Und entsprechend: „The value-abstraction, whose effect became more powerful through the widespread use of (uncoined) silver as money, was the other key factor in the transition to monotheism: the notion of the value-abstraction and the resultant use of a universal equivalent furthered the concept of a universal deity.” (232)

18 Vgl. beispielsweise E. Fromm, Über Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie. Bemerkungen über Psychoanalyse und historischen Materialismus, Zeitschrift für Sozialforschung 1 (1932), S. 28–54, oder den Anhang Charakter und Gesellschaftsprozeß in ders., Escape from Freedom, New York 1941. Wollte man keinen speziell sozialpsychoanalytischen Ansatz vertreten, lägen für die vorliegende Fragestellung mentalitätsgeschichtliche oder habitus-orientierte Zugänge auf der Hand.

19 Ein wichtiger Unterschied zwischen Freud und Marx besteht darin, dass Marx nicht von einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur von frühen Jägerkulturen an ausgeht und eine patriarchale Gesellschaftsstruktur nicht als anthropologische Konstante annimmt. Bei Freud hingegen ist schon die „Urhorde” patriarchalisch organisiert, und seine Trieblehre baut auf dieser Voraussetzung auf.

20 Schaper verwendet des Öfteren entscheidende psychoanalytische Kategorien, ohne den Namen Freud zu nennen, zum Beispiel vorbewusst und unterbewusst (S. 34, 35, 37 u.ö.).

21 Vgl. F. Engels, Engels an Franz Mehring, in: Werke 39, Berlin 1968, S. 96–100 (96).

22 Die Pfeile weisen auf gegenseitige Beeinflussungen hin; einseitige Beeinflussungen (wie es offenbar Schaper annimmt und wie ein einseitig verstandenes Basis-Überbau-Schema vermuten ließe, vgl. o. Anm. 11 und 17) liegen nicht vor. Die Nennung der „natürlichen Bedürfnisse” sagt noch nichts darüber aus, wie sich diese Bedürfnisse kulturhistorisch je unterschiedlich ausprägen. Zusätzlich zu ihnen finden sich ebenfalls gesellschaftlich produzierte Bedürfnisse. Zu diesem Modell vgl. ausführlicher J. Dietrich, Religion und Gesellschafts-Charakter, in: R. Funk u.a. (Hg.), Erich Fromm heute. Zur Aktualität seines Denkens, München 2000, 187–202; ders., Erich Fromm in Hebrew Bible Research: With a Side Glance at Religious Studies, in: R. Funk / N. McLaughlin (Hg.), Towards a Human Science: The Relevance of Erich Fromm for Today, Gießen 2015, 259–279.

23 Wenn man denn Freud, Jung oder andere tiefenpsychologisch ausgerichtete Theorien auf antike Texte anwenden möchte, kommt man nicht umhin offenzulegen, was genau man für problematisch und was für anwendungsmöglich hält.

24 Hier geht der Verfasser auf die nicht allein sinnlichen, sondern epistemischen Phänomene des Hörens und Sehens in Ex 19f und Dtn 4 ein (vor allem S. 119ff, 140ff), ohne jedoch die relevante alttestamentlich–anthropologische Literatur einzubeziehen, etwa Yael Avrahami, The Senses of Scripture: Sensory Perception in the Hebrew Bible (LHB/OTS 545), London 2012; zu weiterer Literatur vgl. J. Dietrich, Empiricism or Rationalism in the Hebrew Bible? Some thoughts about ancient foxes and hedgehogs, in: A. Schellenberg / T. Krüger (Hg.), Sounding Sensory Profiles in the Ancient Near East (ANEM 25), Atlanta 2019, 57–68 (Lit.).

25 Weitere wichtige Aspekte wären zu nennen wie zum Beispiel die Entstehung des Territorialstaates in Juda (abzulesen etwa an den lmlk-Krugstempeln) und damit zusammengehend die Entstehung eines staatlichen Strafrechtsanspruchs in spätvorexilischer Zeit, wie er an einigen Gesetzen des Deuteronomiums ablesbar ist: Der „Staat” tritt nicht mehr nur als Schlichtungsinstanz zwischen zwei streitende Parteien, sondern selbst mit einem eigenen Strafanspruch auf. Auch diese Entwicklung hat eine „monistische” Tendenz: „Strafrecht entsteht regelmäßig erst mit der Entstehung des Staates, der das Allgemeine vertritt und, das Eine' ist.” (U. Wesel, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart, München 42014, 78)

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