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Geldbußen, Peitschenhiebe und göttliche Vernichtung. Rabbinische Strafdrohungen in der Mischna


Seiten 201 - 214

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.20.2014.0201




London

1 Ob diese Übertretungen als “Sünden” im religiösen Sinne und / oder kriminelle Handlungen zu verstehen sind ist ungewiss. L. S. Kravitz, What is Crime?, in: Jacob, W. und Zerner, M. (eds.), Crime and Punishment in Jewish Law: Essays and Responsa, New York, NY 1999, 22, definiert eine kriminelle Straftat als „the commission of an act that is forbidden or the ommission of a duty that is commanded by a public law that makes the offender liable to punishment by that law‟. Kann das biblische und rabbinische Recht der ersten fünf Jahrhunderte als „public law‟ angesehen werden? Die Rabbinen waren von römischer Seite nicht offiziell zur Rechtsprechung authorisiert. Andererseits erhoben sie den Anspruch, dass ihre jüdischen Zeitgenossen, zumindest im römischen Palästina, ihren Rechtssätzen zu folgen hätten. Ob und inwieweit sie ihren Anspruch durchsetzen konnten, bleibt ungewiss.

2 Die literarische und theoretische Natur des rabbinischen Rechtsdiskurses wird auch von D. Steinmetz, Punishment and Freedom: The Rabbinic Construction of Criminal Law, Philadelphia, PA 2008, XI, betont: Die halakhischen Regelungen sind als „imagined universe‟ anzusehen.

3 Siehe y. M.Q. 3:1, 81c–d und die Besprechung in C. Hezser, The Social Structure of the Rabbinic Movement in Roman Palestine, Tübingen 1997, 145–147.

4 Zur Rechtssituation im römischen Palästina siehe J. Harries, Courts and the Judicial System, in: Hezser, C. (ed.), The Oxford Handbook of Jewish Daily Life in Roman Palestine, Oxford 2010, 85–101. Harries sieht die Rabbinen als „informal arbitrator(s)‟ (91), die neben anderen Formen der Rechtsprechung agierten und sich mit Straffällen beschäftigten, die für die Römer relativ geringe Bedeutung hatten.

5 Zur diesen Veränderungen siehe D. Sperber, Roman Palestine, 200–400: Money and Prices, Ramat-Gan 1974.

6 Siehe die Definition von stuprum in A. Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, vol. 43, part 2, Philadelphia, PA 1953, repr. 1991, 719. Siehe zu dem Thema auch R. Langlands, Sexual Morality in Ancient Rome, Cambridge 2006, besonders ibid. 20 und 164–165.

7 Siehe dazu auch M. L. Satlow, Jewish Marriage in Antiquity, Princeton, NJ 2001, 127–129.

8 In M. Mak. 3:1 wird für diese Vergehen jedoch die Prügelstrafe (Geißelung) in Aussicht gestellt. Siehe dazu D. Steinmetz, Punishment (s.o. Anm. 2) 72.

9 Silberschekel wurden mit unterschiedlichen Gewichten hergestellt und waren entsprechend verschieden in ihrem Wert, siehe A. R. S. Kennedy, Money, in: Hastings, J. (ed.), A Dictionary of the Bible, vol. 3.1, Honolulu, HI 2004, 418. Der phönizische Silberschekel wog 230g; in Babylonien und Persien konnte er aber nur 172.9g wiegen, siehe W. Ridgeway, The Origin of Metallic Currency and Weight Standards, Cambridge 1892, 209.

10 Siehe auch die allgemeine Regel in y. Makk. 1:1, 31a: Das Gericht darf nur eine von zwei möglichen Strafen anwenden.

11 Siehe auch M. L. Satlow, Jewish Marriage (s.o. Anm. 7) 128. Die Diskussion wird in der Tosefta und im Palästinischen Talmud fortgesetzt. Nicht alle Rabbinen waren bereit, zwischen Vergewaltigung und Sex mit Einwilligung der Frau zu unterscheiden, siehe T. Ket. 3:6.

12 Siehe R. Saller, Patriarchy, Property, and Death in the Roman Family, Cambridge 1994, 134.

13 Siehe ibid. 135 mit Hinweis auf Dig. 47.10.5 (Ulpian).

14 G. Simmel, The Sociology of Georg Simmel, hg. von K. Wolff, Glencoe 1950, 321, zitiert in R. Saller, Patriarchy (s.o. Anm. 12) 135.

15 Siehe H. A. Drake, Violence in Late Antiquity: Perceptions and Practices, Aldershot 2006, 149: „This exemption defined and exemplified male power, maturity, and rank‟.

16 Zu diesem Text siehe C. Hezser, Paul's ‘Fool's Speech’ (2 Cor 11:16–32) in the Context of Ancient Jewish and Graeco-Roman Culture, in: Bieringer, R. et al. (eds.), Second Corinthians in the Perspective of Late Second Temple Judaism, CRINT 14, Leiden et al. 2014, 221–244.

17 Siehe z.B. A. E. Harvey, Forty Strokes Save One: Social Aspects of Judaizing and Apostacy, in: Harvey, A. E. (ed.), Alternative Approaches to New Testament Study, London 1985, 83.

18 S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 200 B.C.E. to 640 C.E., Princeton, NJ 2001, 222–234meint, dass sich örtliche jüdische Gemeinden in Palästina erst in spätantiker und frühbyzantinischer Zeit entwickelten, in Analogie zur Entstehung christliche Gemeinden.

19 Zu dieser Strafe siehe auch A. Shemesh, An Offer God Can't Refuse: The Punishment of Flagellation in Rabbinic Literature, in: Kratz, R. G / Spieckermann, H. (eds.), Divine Wrath and Divine Mercy in the World of Antiquity, Tübingen 2008, 231–238.

20 Die Rabbinen waren, was die Bestrafung betrifft, unterschiedlicher Meinung: R. Meir zufolge sind sowohl die Geißelung als auch eine Geldzahlung zu leisten, Strafen, die angeblich in zwei verschiedenen Bibelversen erwähnt werden. Wird hier angenommen, dass der Beschuldigte die angeblichen Schulden bereits gezahlt hat? Oder handelt es sich um eine zusätzliche Strafzahlung zur Kompensierung für die durch den Beschuldigten erlittene Erniedrigung? Den Weisen zufolge ist aber nur eine der beiden Strafen zulässig: „Jemand, der zahlt, wird nicht geprügelt‟.

21 Die 80 Peitschenhiebe verstoßen gegen die oben genannte biblische Regelung (Dtn 25,3) von 40 Peitschenhieben als Höchstmass.

22 A. Kirschenbaum, The Role of Punishment in Jewish Criminal Law: A Chapter in Rabbinic Penological Thought, JLA 9, 1991, (123–143), 124 bemerkt dazu: „The famous declaration of Rabbis Tarfon and Akiva that, by ingenious tactics in the examination of witnesses, they would abolish capital punishment raises the query as to how these pious rabbis understood the oft-repeated biblical mandate, and he shall surely die. Did they then arrogate to themselves a morality higher than that of sacred Scripture?‟

23 D. Steinmetz, Crimes and Punishments, Part I: Mitot Bet Din As a Reflection of Rabbinic Jurisprudence, JJS 55, 2004, (81–101), 81 lehnt dies ab: „we ought not assume that the Talmud is describing capital punishment as it actually took place‟. Die rabbinischen Traditionen entstammen einer Zeit als jüdische Gerichtshöfe die Todesstrafe nicht mehr verhängen durften. Siehe zu diesem Thema auch G. Blidstein, Capital Punishment – The Classic Jewish Discussion, Judaism 14, 1965, (159–171).

24 Im Hinblick auf den Diskurs über die Todesstrafe in Mekhilta de Rabbi Jischmael Neziqin 4 schreibt N. B. Dohrmann, Analogy, Empire and Political Conflict in a Rabbinic Midrash, JJS 53, 2002, (273–297), 296: „The laws extend Jewish autonomy without reality or sanction, and also lay the groundwork for a real expansion of that jurisdiction should the opportunity arise‟.

25 B. A. Berkowitz, Execution and Invention: Death Penalty Discourse in Early Rabbinic and Christian Cultures, Oxford / New York, NY 2006, 4–5.

26 Origenes, Ep. ad Africanus 20 (14), zit. in M. Jacobs, Die Institution des jüdischen Patriarchen. Eine quellen- und traditionskritische Studie zur Geschichte der Juden in der Spätantike, Tübingen 1995, 248f.

27 Ibid. 250 Anm. 109 mit Hinweis auf Origenes, Commentarius in Epistulam ad Romaios 6.7; Contra Celsum 7.26.

28 Ibid. 250.

29 Siehe A. Shemesh, Halakhah in the Making: The Development of Jewish Law from Qumran to the Rabbis, Berkeley / Los Angeles, CA 2009, 67.

30 R. Yochanan b. Beroqa zufolge wird ein Vater schuldig, der seinen Sohn in die Sklaverei verkauft; die „Weisen‟ erklären ihn aber für frei. Der Verkauf von Kindern in die Sklaverei wurde im antiken Nahen Osten praktiziert und von den Rabbinen generell gebilligt, siehe C. Hezser, Jewish Slavery in Antiquity, Tübingen 2005, 233–240.

31 Zum Ehebruch siehe D. M. Turner, Adultery, in: B. G. Smith, B. G. (ed.), The Oxford Encyclopedia of Women in World History, vol. 1, Oxford 2008, 30: „Under the Lex Julia de adulteriis a husband was permitted to kill his wife's lover, provided that he had caught the man in the act and did the killing immediately; the husband was not, however, allowed to kill his wife‟. Eine Frau, die des Ehebruchs überführt worden war, sollte von ihrem Ehemann bestraft werden.

32 Dass diese Strafe auch über Frauen verhängt werden konnte, geht aus M. Sanh. 6:3 hervor, wo es heißt, dass Frauen im Unterschied zu Männern bei der Steinigung sowohl hinten als auch vorne bedeckt sein müssen.

33 Dass hier eine Situation der Zeit vor 70 anvisiert wird geht auch aus M. Mak. 2:8 hervor, wo die Leviten als Hauseigentümer und Vermieter der Verbannten in den Zufluchtsstädten genannt werden.

34 Siehe dazu B. S. Jackson, Human Law and Divine Justice: Towards the Institutionalisation of Halakhah, JSIJ 9, 2010, (223–47); URL: http://www.biu.ac.il/js/JSIJ/9-2010/Jackson.pdf, eingesehen am 18.6. 2014.

35 Ob die Buße des Bestraften dazu notwendig war, wird in der Mischna nicht ausdrücklich erwähnt. D. Steinmetz, Punishment (s.o. Anm. 2) 73, interpretiert die Mischna im Zusammenhang mit R. Akivas abweichender Meinung im Babylonischen Talmud (b. Mak. 13a–b) und schreibt: „It is also possible that the two teachings are consistent with each other, with both sages understanding malqut as an opportunity for repentence, even though Rabbi Chanania ben Gamliel does not say this‟.

36 Siehe auch D. Steinmetz, Punishment (s.o. Anm. 2), 74.

37 Siehe ibid. 75.

38 W. Jacob, Punishment: Its Method and Purpose, in: Crime and Punishment in Jewish Law: Essays and Responsa, ed. W. Jacob und M. Zerner, New York: Berghahn Books, 1999, 47 meint, dass das Ziel des biblischen Strafdiskurses “the creation of a ‘holy nation’” war.

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