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Fiktive Formulare und gültige Geschäfte – Beobachtungen in der Urkundenpraxis der achämenidischen und hellenistisch-römischen Zeit


Seiten 145 - 156

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.16.2010.0145




Frankfurt a. M.

1 Zum Barkaufprinzip (und zu seiner Durchbrechung) siehe auch die Untersuchung in Abschnitt III. des Historischen Teils der Habilitationsschrift d. Verf. „Fortschritt auf Umwegen: Schein- und Umgehungsgeschäfte und Verwendung fiktiver Strukturen in Rechtsurkunden des Altertums“ (Publikation in Vorbereitung); ebd. ausführliche Bibliographie zur Thematik.

2 Für das römische Recht vgl. nur M. Kaser, Römisches Privatrecht. Erster Abschnitt. Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, München 21971, 545; für den griechischen und weitere Rechtskreise F. Pringsheim, The Greek Law of Sale, Weimar 1950, 88 ff. Für die Keilschriftrechte siehe die allgemeinen Darstellungen bei É. Cuq, Études sur le droit babylonien, les lois assyriennes et les lois hittites, Paris 1929, 180 ff. und V. Korošec, Keilschriftrecht, in: B. Spuler (Hg.), Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Der nahe und der mittlere Osten, Ergänzungsband III, Orientalisches Recht, Leiden und Köln 1964, (49–219) 122 ff. sowie die einzelnen Abhandlungen unter dem Lemma „Kauf“ in RlA 5; des Weiteren noch heute grundlegend M. San Nicolò, Die Schlußklauseln der altbabylonischen Kauf- und Tauschverträge, München 21974, 7 ff. und 76 f., dazu auch G. Ries, Besprechung zu Mariano San Nicolò, Die Schlußklauseln der altbabylonischen Kauf- und Tauschverträge, in: ZRG RA 92 (1975), (476–477) 476 f.; ferner M. San Nicolò, Beiträge zur Rechtsgeschichte im Bereiche der keilschriftlichen Rechtsquellen, Oslo 1931, 195 ff. sowie H. Petschow, Die neubabylonischen Kaufformulare, LRWS 118, Leipzig 1939, 4 ff. — einschränkend hingegen P. Koschaker, Eheschließung und Kauf nach alten Rechten, mit besonderer Berücksichtigung der älteren Keilschriftrechte, in: J. Klíma u. a. (Hg.), Symbolae ad studia orientis pertinentes Frederico Hrozný dedicatae IV (= ArOr 18, Nr. 3), Prag 1950, (210–296) 214.

3 Zu dieser Qualifizierung etwa D. Nörr, Fides punica — fides romana. Bemerkungen zur demosia pistis im ersten karthagisch-römischen Vertrag und zur Rechtsstellung des Fremden in der Antike, in: L. Garofalo (Hg.). Il ruolo della buona fede oggetiva nell'esperienza giuridica storica e contemporanea (Atti del Convegno internazionale di studi in onore di Alberto Burdese, Padova-Venezia-Treviso 14–15–16 giugno 2001), Vol. II, Mailand 2003, (497–541) 535.

4 Exemplarisch etwa in Urkunden der altbabylonischen Zeit; dazu M. San Nicolò, Schlußklauseln (o. Anm. 2), 15.

5 M. San Nicolò, Beiträge (o. Anm. 2), 204 ff., der darin auch eine dogmatische Kontinuität erkennt, sowie H. Petschow, Kaufformulare (o. Anm. 2), 3.

6 Ausführlich F. Pringsheim, Greek Law of Sale (o. Anm. 2), 102 ff. mit zahlreichen Textbelegen.

7 Zur Entwicklung der Formulare siehe M. San Nicolò, Schlußklauseln (o. Anm. 2), 26 ff.; für die neubabylonische Zeit und insbesondere zur Differenzierung der Formulare für den Mobiliar- und Immobiliarkauf H. Petschow, Kaufformulare (o. Anm. 2), 7 ff., 43 ff. sowie 69 ff.

8 M. San Nicolò, Schlußklauseln (o. Anm. 2), 78; ders., Beiträge (o. Anm. 2), 196.

9 Beim sogenannten Pränumerations- oder Lieferungskauf stellt die Preiszahlung eine Vorleistung dar, mit der die Warenlieferung kreditiert wird; beim Kreditkauf im engeren Sinne verhält es sich genau umgekehrt: hier wird zunächst die Ware geleistet, die Preiszahlung hingegen für einen späteren Zeitpunkt festgesetzt. Für beide Formen hat man sich beispielsweise in altbabylonischer Zeit ein und desselben Formulars bedient, dessen Leitfossil sumerisch šu.ba.an.ti lautet. Hauptanwendungsfall dieses Formulars ist das Darlehen, verallgemeinernd kann dieses Formular als Typus des Realvertrags beschrieben werden, bei der die Verpflichtung zur Rückgewähr einer Sache — in der genannten Konstellation des Darlehens — sich aus ihrer Hingabe ergibt. Stehen sich anstelle ein und derselben Sache bzw. Gattung nun Ware und Preis gegenüber, erfüllt der Realvertrag die Funktion des Kreditkaufs und zwar je nachdem, ob Ware oder Preis hingegeben werden bzw. zurückzugewähren sind, als Pränumerationskauf oder als Kreditkauf im engeren Sinne. Eingeschlossen ist die jeweilige Möglichkeit, die kreditierte Leistung zu verzinsen, etwa durch eine Kapitalisierung, die am einfachsten dadurch erreicht werden konnte, dass die Zinsen von vornherein in die Wertrelation von Leistung und Gegenleistung eingestellt wurden. Das Barkaufprinzip wird durch diese Vertragsgestaltung schlichtweg gar nicht tangiert, nachdem der Vorgang äußerlich nicht als Kauf gekennzeichnet ist. Vielmehr stellt diese Gestaltungsform des Kreditkaufs einen Anwendungsfall des Realvertrags unter vielen dar. Ganz ähnlich verhält es sich beim Lieferungskauf im ptolemäischen Ägypten: auch hier sehen wir einen Vertragstyp sui generis, der aus der Struktur des Realvertrags abgeleitet ist und mit dem Barkaufprinzip nicht eigentlich in Konflikt gerät. Diese Gestaltungsformen des Kreditkaufs sollen daher im Weiteren nicht mehr Gegenstand der Betrachtung sein. Ausführlich hierzu Pfeifer, Fortschritt auf Umwegen (o. Anm. 1), Historischer Teil III. 1. b) und 2. a) einschließlich Textbeispielen und Literatur.

10 Für die altbabylonische Zeit ist ein Fall der soeben beschriebenen Gestaltungsmöglichkeit eines Kreditkaufs in prominenter Weise im Zusammenhang mit dem Prozessprotokoll TCL 1, 157 dokumentiert.

11 Dazu H. Petschow, Kaufformulare (o. Anm. 2), 16 f.

12 Vgl. den Kommentar zu NRV 76 mit Verweis auf VS V 70.71 (NRV 75).

13 So auch der Kommentar zu NRV 77.

14 So etwa in TCL 1, 157; vgl. bereits Anm. 10.

15 Ausführlich dazu M. San Nicolò, Schlußklauseln (o. Anm. 2), 39 ff.

16 So bereits H. Petschow, Kaufformulare (o. Anm. 2), 23 f. und 54 f. mit dem Hinweis darauf, dass der Gegenbeweis der Nichtzahlung — etwa mittels Schuldschein — durch den Quittungsvermerk nicht ausgeschlossen war.

17 Insbesondere nicht in den Gesetzen Ḫammu-rapis: Diese regeln, wie in anderen Rechtsbereichen auch, hinsichtlich des Kaufs lediglich Sonderfälle, wie etwa den Sklavenkauf in §§ 278–280; hingegen enthalten sie kein allgemeines Kaufrecht; vgl. dazu H. Petschow, Art. „Gesetze A. Babylonien“, in: RlA 3, Berlin und New York 1957–1971, (243–279) 268; G. R. Driver/J. C. Miles, The Babylonian Laws, Vol. I: Legal Commentary, Oxford 1952, 45 ff.; V. Korošec, Keilschriftrecht (o. Anm. 2), 122.

18 Dazu auch M. San Nicolò, Beiträge (o. Anm. 2), 194 ff.; V. Korošec, Keilschriftrecht (o. Anm. 2), 122.

19 Theophr. peri symb. 97, 4+7; Plat. nom. VIII 849e. Zu der in diesen Stellen außerdem angesprochenen Problematik der Abhängigkeit des Eigentumsübergangs von der vollzogenen Kaufpreisleistung siehe ausführlich F. Pringsheim, Greek Law of Sale (o. Anm. 2), 134 ff.

20 So bezeichnet F. Pringsheim, Greek Law of Sale (o. Anm. 2), 137 Theophrasts Beschreibung des Kaufs als “mixture of a treatise on actual law, a comparison with other, partly old, partly imaginary laws, and philosophical remarks on the merits and faults of those laws”.

21 Zu ihrer Rechtsnatur siehe H. J. Wolff/H.-A. Rupprecht, Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens. Erster Band, München 2002, 55 ff. mit weiterer Literatur.

22 P.Hal. 1, 242–259.

23 Textkritische Anmerkungen nach Mitt. Chr. 226 und der Duke Databank of Documentary Papyri (über HGV: http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~gv0/gvz.html): Z. 3: subs. ed.: Περσηὶς orig. ed.; επκονης Pap.; Z. 4: ομολοκω Pap.; εχιν Pap.; δα[ν]ηον Pap.; Z. 5: εκξ Pap.; Z. 8: δραχμη Pap.; μια Pap.; τριοβου[λο]υ Pap.; subs. ed.: της μνας orig. ed.; corr. from τω; Z. 9: corr. from εραστον; αποδοσω Pap.; corr. from απονοσω; corr. from μηνα; Z. 10: ισιοντος Pap.; Z. 11: τριακωστου Pap.; Z. 12: προγεγραται Pap.; subs. ed.: προγέγραπται orig. ed.

24 Beispielhafte Heranziehung des Texts auch bei L. Mitteis, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Zweiter Band: Juristischer Teil, Erste Hälfte: Grundzüge, Leipzig und Berlin 1912, 117; F. Pringsheim, Greek Law of Sale (o. Anm. 2), 257.

25 Zu weiteren Quellen der mancipatio nummo uno siehe J. G. Wolf, Funktion und Struktur der Mancipatio, in: M. Humbert/Y. Thomas (Hg.), Mélanges de droit romain et de l'histoire ancienne, Hommage à la memoire de André Magdelain, Paris 1998, 501–524, 502 mit Anm. 11.

26 Weitere Beispiele bei M. Kaser, Eigentum und Besitz im älteren römischen Recht, Köln und Graz 21956, 158 ff; zum abstrakten Charakter der Manzipation siehe M. Kaser, Das altrömische Ius. Studien zur Rechtsvorstellung und Rechtsgeschichte der Römer, Göttingen 1949, 331.

27 Vgl. dazu nur M. Kaser, RPR I (o. Anm. 2), 546 mit weiterer Literatur; ferner F. Pringsheim, Symbol und Fiktion in antiken Rechten, in: Gesammelte Abhandlungen. Zweiter Band, Heidelberg 1961, (382–400) 398.

28 Vgl. Gai inst. 4, 17a; zur Verwendung für Kaufpreiskreditierung und Lieferungskauf auch F. Pringsheim, Symbol und Fiktion (o. Anm. 27), 398 f.

29 Die praktische Anwendung dieser Form des Kreditkaufs lässt sich mittelbar aus den Schilderungen Varros zur Vertragsgestaltung beim Viehkauf erschließen: Varro, De re rust. 2, 1, 15. Für diese frühe Form der Kreditierung spricht auch der Hinweis auf das Zwölftafelgesetz in Inst. 2, 1, 41. Dass dort die Kaufpreiszahlung als Voraussetzung für den Eigentumsübergang erwähnt ist, wird im Allgemeinen für eine nachklassische Entwicklung gehalten, vgl. M. Kaser, Römisches Privatrecht. Zweiter Abschnitt. Die nachklassischen Entwicklungen, München 21975, 278 f. mit weiterer Literatur, sowie F. Pringsheim, Greek Law of Sale (o. Anm. 2), 180; für eine gewisse Kontinuität hingegen W. Kunkel, Epigraphik und Geschichte des römischen Privatrechts, in: Vestigia 17 (Akten des VI. Internationalen Kongresses für Griechische und Lateinische Epigraphik München 1972), München 1973, (193–242) 222. Der Hinweis auf das ius gentium und das ius naturale in diesem Zusammenhang mag die Reflektion römischer Juristen über ein allgemeines Verkehrsrecht des Mittelmeerraums andeuten; zu dessen noch ausstehender Untersuchung in konzeptioneller Hinsicht siehe D. Nörr, Fides punica — fides romana (o. Anm. 3), 533.

30 Zu diesem Schema vgl. W. Kunkel, Epigraphik (o. Anm. 29), 219.

31 Insbesondere im Hinblick auf den Eigentumsübergang bleibt nach vollzogener (und dokumentierter) Manzipation keine Funktion für diese Gestaltungsform; zu diesem sachlichen Kontext siehe oben bei Anm. 15 und 29.

32 Dazu W. Kunkel, Epigraphik (o. Anm. 29), 220. Zur entsprechend gebotenen Zurückhaltung im Hinblick auf die Instrumentalisierung derartiger Prinzipen bei der Interpretation von Rechtsquellen siehe D. Nörr, Fides punica — fides romana (o. Anm. 3), 535.

33 Vgl. W. Kunkel, Epigraphik (o. Anm. 29), 221.

34 Ähnlich auch die allgemeine Einschätzung bei D. Nörr, Fides punica — fides romana (o. Anm. 3), 535.

35 Insoweit lassen sich Überwindung des „strikten“ Barkaufprinzips und einzelne Stufen der „Lockerung“ desselben differenzieren, vgl. D. Nörr, Fides punica — fides romana (o. Anm. 3), 536.

36 Siehe bereits eingangs bei Anm. 8 f.

37 Mit einer derartigen Konzeption ließe sich durchaus auch die theoretische Erfassung des Barkaufs als Idealtypus in der griechischen Überlieferungstradition vereinbaren, vgl. o. bei Anm. 19.

38 Siehe o. bei Anm. 3.

39 Beispielsweise diejenigen nach den Akteuren dieser Rechtspraxis und ihrem intellektuellen Hintergrund.

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