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Recht ohne Religion. Zur „Romanisierung‟ der altorientalischen Rechtsgeschichte im „Handbuch der Orientalistik‟


Seiten 296 - 303

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.11.2005.0296




München

Prof. Dr. Eckart Otto, Institut für Alttestamentliche Theologie, Evangelisch-Theologische Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München, Schellingstr. 3/IV VG, D-80799 München (e-mail: eckart.otto@lrz.uni-muenchen.de)

1 Rezensionsartikel zu Raymond Westbrook (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law, Handbuch der Orientalistik 72/1–2, 2 Bände, Leiden/Boston 2003, XX + 1209 S.

2 Cf. B. Spuler (Hg.), Orientalisches Recht, HO I/3, Leiden 1964.

3 Als Begründung für den statischen Charakter des altorientalischen Rechts führt der Hg. ein vom 3. bis zum 1. Jahrtausend stabiles Weltbild und ebenso unverändert bleibende Stadtgesellschaften im gesamten Alten Orient an. Dem wird jede differenziertere Religions- wie Sozialgeschichte des Alten Orients widersprechen.

4 Zur Rechtsgelehrsamkeit im mesopotamischen „Tafelhaus“ der Schreiberausbildung cf. jetzt vor allem H. Neumann, Prozeßführung im Edubba'a. Zu einigen Aspekten der Aneignung juristischer Kenntnisse im Rahmen des Curriculums babylonischer Schreiberausbildung, ZAR 10, 2004, 71–93mit weiterer Literatur.

5 Cf. E. Otto, Der Zusammenhang von Herrscherlegitimation und Rechtskodifizierung in altorientalischer und biblischer Rechtsgeschichte, in diesem Jahrgang der ZAR.

6 Cf. E. Otto, Kodifizierung und Kanonisierung von Rechtssätzen in keilschriftlichen und biblischen Rechtssammlungen, in: É. Lévy (Hg.), La codification des lois dans l'antiquité. Actes du colloque de Strasbourg 27–29 novembre 1997, Université Marc Bloch de Strasbourg. Traveaux du Centre de recherche sur le Proche-Orient et la Grèce antiques 16, Paris 2000, 77–124.

7 Zur Unabhängigkeit des Römischen Rechts von der Religion siehe M.Th. Fögen, Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen 2002, 85–88.

8 Die überlieferungsgeschichtliche Kategorie der Theologisierung des Rechts, die vor allem Max Weber in die rechtshistorische Debatte des biblischen Rechts eingeführt hat (cf. M. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum. Schriften und Reden 1911–1920, hg. von E. Otto unter Mitwirkung von J. Offermann, MWG I/21.1–2, 2 Bde, Tübingen 2005, Bd. I, 304ff u.ö.) besagt in keiner Weise, daß das theologisierte Recht vorher als säkulares ohne religiösen Kontext zu verstehen sei. Vielmehr geht es der Kategorie der Theologisierung, die sich keineswegs wie der Hg. voraussetzt, westlichem Einfluß auf die altorientalische Rechtsgeschichte in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends verdankt, nur um die explizite Rechtslegitimation, die naturwüchsige Rechtsbegründungen in ihren impliziten religiösen Gehalten theologisch expliziert. Die Kategorie der Theologisierung von Recht hat ihre Spitze gegen rechtshistorische Evolutionsmodelle, die in der Nachfolge von H.S. Maine (Ancient Law. Its Connection with the Early History of Society and its Relation to Modern Ideas, London [1861] 101906) das religiöse Kultrecht für rechtshistorisch primär halten und die altorientalische Rechtsgeschichte als großen Säkularisierungsprozess beschreiben. Derartig einlinige Beschreibungsmodelle sind durch sozialhistorisch differenziertere Beschreibungen abzulösen, die nach den Ursachen der z.T. parallel verlaufenden Säkularisierungs- und Theologisierungsprozesse des Rechts fragen; cf. dazu E. Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3/2, Stuttgart 1994, 81ff. 175ff. sowie bereits ders., Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des „Bundesbuches“ Ex XX 22–XXIII 13, StB 3, Leiden/New York 1988, 38ff. 69ff.

9 Als nach wie vor einschlägig siehe dazu H. Frankfort, Kingship and the Gods. A Study of Ancient Near Eastern Religion as the Interpretation of Society and Nature, Chicago/London 21978, 215ff., sowie jüngst S.W. Holloway, Aššur is King! Aššur is King! Religion in the Exercise of Power in the Neo-Assyrian Empire, CHANE 10, Leiden/Boston 2002, bes. 178ff. 320ff. Siehe dazu meinen Beitrag “Politische Theologie in Assyrien und Juda. Zu einem Buch von Steven W. Holloway”.

10 Der Hg. räumt ein, daß seine die Anlage des Handbuches bestimmende Konzeption nicht von allen Autoren geteilt werde. Eine Darstellung des ägyptischen Rechts unter Verzicht auf die religiöse Legitimation des Rechts wäre auch unmöglich.

11 Siehe dazu die Monographie von R. Müller-Wollermann, Vergehen und Strafen. Zur Sanktionierung abweichenden Verhaltens im alten Ägypten, Pdä 21, Leiden/Boston 2004, 31–51. Cf. dazu meinen Beitrag „Das altägyptische Strafrecht. Zu einem Buch von Renate Müller-Wollermann“ in diesem Jahrgang der ZAR.

12 Cf. J. Assmann, Zur Verschriftlichung rechtlicher und sozialer Normen im Alten Ägypten, in: H.-J. Gehrke (Hg.), Rechtskodifizierung und soziale Normen im interkulturellen Vergleich, ScriptOralia 66, Tübingen 1994, 61–86. Der Verzicht auf die Einbeziehung des Iran in das Handbuch ist eine der negativen Folgen der Prämisse des „common law“ im Alten Orient bis zur Mitte des 1. Jahrtausends. Unter dieser Voraussetzung allerdings fällt das Achämenidenrecht aus dem Zeitrahmen des Handbuches heraus, was nicht nur angesichts der Kontinuität zwischen dem neubabylonischen und achämenidischen Recht in Mesopotamien und seiner Bedeutung auch für die Erfassung des rezipierten Rechts im Spiegel des rezipierenden bedauerlich ist, sondern auch angesichts der Tatsache, daß die nachexilische Rechtsgeschichte der Hebräischen Bibel einschließlich der Formierung des Pentateuch erst in ihrem achämenidischen Kontext verständlich wird; cf. dazu E. Otto, Die Rechtshermeneutik des Pentateuch und die achämenidische Rechtsideologie in ihren altorientalischen Kontexten, in: M.Th. Fögen/M. Witte (Hg.), Die Kodifizierung und Legitimierung des Rechts in der Levante im 6./5. Jh. v. Chr., BZAR 5, Wiesbaden 2005, 71–116.

13 Cf. dazu H.-J. Gehrke, Verschriftung und Verschriftlichung sozialer Normen im archaischen und klassischen Griechenland, in: É. Lévy (Hg.), Codification (Paris 2000), 141–159.

14 Cf. dazu E. Otto, Recht im antiken Israel, in: U. Manthe (Hg.), Die Rechtskulturen der Antike. Vom Alten Orient bis zum Römischen Reich, München 2003, 151–190. 328–329 (Lit.).

15 Siehe R. Müller-Wollermann, Vergehen und Strafen, Pdä 21, Leiden 2004, 170–180.

16 Siehe C. Näser, Der Alltag des Todes. Archäologische Zeugnisse und Textquellen zu funerären Praktiken und Grabplünderungen in Deir el-Medine im Neuen Reich, Diss. phil. Humboldt-Universität, Berlin 2001.

17 Siehe oben.

18 Siehe dazu auch meinen Beitrag „Das altägyptische Strafrecht. Zu einem Buch von Renate Müller-Wollermann“ in diesem Jahrgang der ZAR.

19 Cf. H. Neumann, Recht im antiken Mesopotamien, in U. Manthe (Hg.), Rechtskulturen (München 2003), 55–122. 322–327 (Lit).

20 Cf. S. Allam, Recht im pharaonischen Ägypten, a.a.O., 15–54. 321 (Lit.).

21 Unter dem Gesichtspunkt der Vernetzung des biblischen Rechts mit dem zeitgenössischen Recht Mesopotamiens sind die Abschnitte zum neuassyrischen Recht von K. Radner (Bd. II, 883–910) und zum neubabylonischen Recht von J. Oelsner, B. Wells und C. Wunsch (Bd. II, 911–974) von herausgehobener Bedeutung. Gerade die neubabylonische Urkundenüberlieferung erweist sich gegenwärtig als besonders ertragreich für rechtshistorische Vergleiche mit der Hebräischen Bibel; cf. zuletzt B. Wells, The Law of Testimony in the Pentateuchal Codes, Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 4, Wiesbaden 2004, sowie F.R. Magdalene, Who is Job's Redeemer? Job 19:25 in the Light of Neo-Babylonian Law, Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 10, 2004, 292–316. Als weniger erfolgversprechend dürften sich jüngste Versuche erweisen, das Bundesbuch als direkte Übersetzung der Rechtssammlung des Hammurapi aus der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends in neuassyrischer Zeit (cf. D.P. Wright, The Laws of Hammurabi as a Source for the Covenant Collection [Exodus 20:12–23:19], Maarav 10, 2003, 11–87) zu interpretieren. Für derartige Forschungsdiskurse stellt das Handbuch hilfreiches Material zur Verfügung, enthält sich aber nicht nur der Stellungnahme, sondern schon der Fragestellung.

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