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Max Webers Münchner Vortrag zur soziologischen Grundlage der Entwicklung des Judentums vor dem Sozialwissenschaftlichen Verein am 24. Januar 1917


Seiten 317 - 328

DOI https://doi.org/10.13173/zeitaltobiblrech.10.2004.0317




München

1 Siehe dazu Max Webers Gespräche mit Ernst J. Lesser; cf. M. Weber, Briefe 1913-1914, hg. von M.R. Lepsius/W.J. Mommsen, MWG II/8, Tübingen 2003, 312–315, sowie E. Otto, Einleitung, in: M. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum. Schriften und Reden 1911-1920, hg. von E. Otto, MWG I/21.1-2, Tübingen 2005, 73–75. Zu den innerjüdischen Diskussionen vor dem Weltkrieg siehe zuletzt E.L. Ehrlich, Liberalismus und Zionismus, in: F.-L. Hoßfeld/L. Schwienhorst-Schönberger (Hg.), ” Das Manna fallt auch heute noch”. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments, FS E. Zenger, HBS 44, Freiburg/Br. 2004, 192–200.

2 Siehe M. Weber, Agrarverhältnisse in Altertum, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von J. Conrad, L. Elster, W. Lewis, E. Loening, Bd. I/3, Jena 11908(09), (52-188) 91–95. 125f. 139. Siehe dazu E. Otto, Max Webers Studien des Antiken Judentums. Historische Grundlegung einer Theorie der Moderne, Tübingen 2002, 2-10. 83–97. 182–184.

3 Siehe M. Weber, Antikes Judentum (MWG I/21), sowie E. Otto, Einleitung, a.a.O., (1-141) 38–70; ders., Max Webers Studien (Tübingen 2002), 21–53. 98–130.

4 Siehe M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte, Nachlaß-Teilband 2: Religiöse Gemeinschaften, hg. von H. Kippenberg, MWG I/22-2, Tübingen 2001, 121–447, bes. 414–447.

5 Siehe M. Weber, Rechtssoziologie, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der Verstehenden Soziologie, hg. von J. Winckelmann, Tübingen 51980, 387–515, bes. 468-482. Siehe dazu E. Otto, Max Webers Studien (Tübingen 2002), 130–135.

6 Siehe M. Weber, Soziologie der Herrschaft, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der Verstehenden Soziologie, hg. von J. Winckelmann, Tübingen 51980, 541–868, bes. 693f. 699. 720f. Hinzu kommen noch Berichte über Diskussionsbeiträge Max Webers wie dem zu einem Vortrag Martin Bubers über “Das Problem der jüdischen Religiosität”, über den das Heidelberger Tageblatt (31/279) und die Heidelberger Zeitung (55/279) vom 28. 11. 1913 berichten.

7 Siehe dazu E. Otto, Editorischer Bericht, in: M. Weber, Antikes Judentum (MWG I/21), 207–230.

8 Siehe dazu E. Otto, Die Pharisäer. Eine werkbiographische Interpretation der gleichnamigen Studie Max Webers einschließlich des unveröffentlichten Schürer Exzerptes BSB Ana 446, ZAR 8, 2002, 1–87.

9 Cf. E. Otto, Max Webers Studien (Tübingen 2002), 177–245; ders., Einleitung (MWG I/21), 89–141.

10 Der “Sozialwissenschaftliche Verein” ist eine vor allem von Studenten getragene wissenschaftliche Vereinigung, die wie die “Volkswirtschaftliche Gesellschaft” am Staatswissenschaftlichen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität basiert und von Lujo Brentano begleitet ist.

11 Siehe M. Weber, Briefe 1913-1914 (MWG II/8), 298 (5. 8. 1913), 302 (9. 8. 1913).

12 Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München Ana 446.

13 Karl Loewenstein gehörte als Student in Heidelberg zum Bekanntenkreis von Max und Marianne Weber. 1933 emigrierte er in die USA und wurde Professor für Recht und Politische Wissenschaften an der Universität Yale und später am Amherst College. Einflüsse Max Webers auf sein Werk sind unverkennbar.

14 Schreiben Max Webers an Karl Loewenstein vom 29. Dezember 1913; siehe M. Weber, Briefe 1913-1914 (MWG II/8), 444.

15 Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München Ana 446.

16 Dagegen ist eine Initiative Lujo Brentanos unwahrscheinlich. Siehe dazu die Hg.-Anmerkung in M. Weber, Briefe 1913-1914 (MWG II/8), 95.

17 Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München Ana 446.

18 Siehe dazu die Kommentierung des Berichts über den Vortrag im Folgenden

19 Zur endogenen Ekstase siehe M. Weber, Religiöse Gemeinschaften (MWG I/22-2), 185. 313. Zum Aufbrechen der jüdischen Pariareligiosität durch die pneumatischen Charismata christlicher Gemeindebildung siehe a.a.O., 447. Cf. dazu die Kommentierung des Berichts über den Vortrag im folgenden.

20 Siehe W. Schluchter, Religion und Lebensführung. Band II: Studien zu Max Webers Religions-und Herrschaftssoziologie, Frankfurt/Main 1988, 130f. Anm. 8. Der Typus des Leviten als “Seelsorgepriesters”, der in den Studien des antiken Judentums der Jahre 1917-1920 eine so zentrale Funktion haben wird (siehe E. Otto, Einleitung [MWG I/21], 110-116), ist schon ohne Bezug auf die Leviten in dem Deponatsmanuskript “Mythik und Ethik/Rituelle Absonderung” unter dem Einfluß der, wie die Anstreichungen in dem Exemplar der Heidelberger Universitätsbibliothek zeigen, von Max Weber intensiv rezipierten Habilitationsschrift des Berliner Ordinarius für Kirchengeschichte Karl Holl, Enthusiasmus und Bussgewalt beim griechischen Mönchtum. Eine Studie zu Symeon dem neuen Theologen, Leipzig 1898, ausgearbeitet worden.

21 4. Jahrgang 1917 Heft 4, 40–41.

22 Das Vortragsmanuskript ist nicht erhalten. Der Bericht gibt aber auch zu erkennen, daß Max Weber Teile des Vortrags frei gehalten hat.

23 Gemeint ist die Graf-Wellhausensche Theorie der sog. Neueren Urkundenhypothese; siehe dazu E. Otto, Artikel Pentateuch, RGG4 VI, Tübingen 2003, 1089-1102. Max Weber hat bereits vor der Jahrhundertwende intensiv Julius Wellhausen gelesen; siehe Max Webers Brief an Marianne Weber vom 15. 16. und 19. August 1898 aus Konstanz; siehe E. Otto, Einleitung (MWG I/21), 1f. (Auszug), zunächst aber auch der Kritik seines Heidelberger Kollegen Adalbert Merx an Julius Wellhausen Kredit gegeben. In den Studien ab 1916 tritt aber der Einfluß des 1909 gestorbenen Adalbert Merx zurück und Max Weber rezipiert die Neuere Urkundenhypothese in der Gestalt, in der sie Eingang in die Religionsgeschichtliche Schule gefunden hat.

24 Den Paria-Begriff überträgt Max Weber erstmals in einer Ergänzung des zwischen 1911 und 1913 verfaßten Deponatsmanuskripts “Ethik und Mythik/rituelle Absonderung” auf das Judentum.

25 Gemeint ist “pariyan” als Bezeichnung einer niederen Trommlerkaste; siehe M. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus. Schriften 1916-1920, hg. von H. Schmidt-Glintzer, MWG I/20, Tübingen 1996, 63f. Der anonyme Verfasser dieses Berichts leitet den Paria-Begriff irrtümlich von lat. pars “Teil” ab.

26 Max Weber hat in diesem Vortrag die in der Eröffnung der Studien des antiken Judentums gegebene Definition des Judentums vorausgesetzt: “Denn was waren soziologisch angesehen, die Juden? Ein Pariavolk. Das heißt, wie wir aus Indien wissen: eine rituell, formell oder faktisch, von der sozialen Umwelt geschiedenes Gastvolk. Alle wesentlichen Züge seines Verhaltens zur Umwelt, vor allem seine längst vor der Zwangsinternierung bestehende freiwillige Ghettoexistenz und die Art des Dualismus von Binnen und Außenmoral lassen sich daraus ableiten. Die Unterschiede gegenüber indischen Pariastämmen liegen beim Judentum in folgenden drei wichtigen Umständen: 1. Das Judentum war (oder vielmehr wurde) ein Pariavolk in einer kastenlosen Umwelt. - 2. Die Heilsverheißungen, an welchen die rituelle Besonderung des Judentums verankert war, waren durchaus andere als diejenigen der indischen Kasten. Für die indische Pariakaste galt, sahen wir, als Prämie rituell korrekten, d.h. kastengerechten, Verhaltens der Aufstieg innerhalb der ewig und unabänderlich gedachten Kastenordnung der Welt im Wege der Wiedergeburt. Die Erhaltung der Kastenordnung wie sie war und das Verbleiben nicht nur des Einzelnen in der Kaste, sondern der Kaste als solcher in ihrer Stellung zu den anderen Kasten: dieses eminent sozialkonservative Verhalten war Vorbedingung alles Heils; denn die Welt war ewig und hatte keine ‚Geschichte’”. Siehe Max Weber, Antikes Judentum (MWG I/21), 238f. Die sich anschließenden Erörterungen zur “weltgeschichtlichen Tragweite der jüdischen religiösen Entwicklung” finden in diesem Vortrag keine Auftiahme; siehe dazu im folgenden.

27 Max Weber folgt hier in großen Zügen dem Aufriß der Studie des antiken Judentums im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, in der auf die allgemeine Charakterisierung des Judentums eine Erörterung des wirtschaftsgeographischen Horizonts der Geschichte des antiken Judentums folgt.

28 Max Weber stützt sich hier vor allem auf B. Stade, Beiträge zur Pentateuchkritik, 1. Das Kainszeichen: Zur Entstehungsgeschichte der jahwistischen Pentateuchquelle und zur israelitischen Sagenkunde, ZAW 14, 1894, 250–318.

29 Hier wie auch sonst in seinen Studien zum antiken Judentum liegen für Max Weber anders als für Werner Sombart und die überwiegende Mehrzahl der zeitgenössischen Alttestamentler der Zeit die Wurzeln des Judentums nicht im Nomadentum der Wüste. Das “nomadische Ideal” der Hebräischen Bibel ist für Max Weber Ideologie ohne historische Wurzeln in Israels Vorgeschichte. Die damit verbundenen “utopischen” Züge der Religion sind also nicht Funktion konkreter ökonomischer Verhältnisse, und also von diesen nicht ableitbar.

30 Daß der Zwang zur Selbstequipierung ein wichtiges Movens sozialhistorischer Entwicklung in der Antike sei, teilt Max Weber nicht nur mit der zeitgenössischen Geschichtsschreibung der Alten Geschichte der klassischen Antike, sondern auch mit Autoren der Geschichte Israels wie Julius Wellhausen. Bereits Leopold von Ranke (Weltgeschichte. Band I/1. Die älteste historische Völkergruppe und die Griechen, Leipzig 51896, 37-68) hat die israelitischen Stämme als “Kriegsgenossenschaft” mit Selbstequipierung interpretiert. Daran knüpft Julius Wellhausen (Abriss der Geschichte Israels und Juda's, in : ders., Skizzen und Vorarbeiten, 1. Heft, Berlin 1884, [5–102] 37ff.) an. Siehe auch J. Deininger, Die politischen Strukturen des mittelmeerisch- vorderorientalischen Altertums in Max Webers Sicht, in: W. Schluchter (Hg.), Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik, stw 548, Frankfurt/Main 1985, 72-110. Zu Max Webers früher Ranke-Rezeption siehe M. Sukale, Max Weber. Leidenschaft und Disziplin. Leben, Werk, Zeitgenossen, Tübingen 2002, 100-103. Im übrigen fuhrt die Monographie von M. Sukale nicht über Eduard Baumgarten hinaus, dem er sich verpflichtet fühlt, und repetiert also oftmals einen überholten Forschungsstand.

31 Max Weber basiert hier u.a. auf H. Greßmann, Sage und Geschichte in den Patriarchenerzählungen, ZAW 30, 1910, 1–34.

32 Bereits im Deponatsmanuskript “Ethik und Mythik/rituelle Absonderung” hat Max Weber die Bundestheologie früh datiert und sich damit gegen Julius Wellhausen und die Wellhausen-Schule gestellt. Gewährsmann für Max Weber ist insbesondere Karl Budde, Die altisraelitische Religion des Volkes Israel bis zur Verbannung, Amerikanische religionswissenschaftliche Vorlesungen. 4. Reihe 1898/99, Gießen 21905.

33 Bereits Julius Wellhausen hat das frühe Israel des Stämmebundes als “Eidgenossenschaft” bezeichnet. Siehe J. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 61907, 25 u.ö. Zur Werkgeschichte siehe jetzt R. Smend (jun.), Nachwort zur Neuausgabe, in: J. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 102004, 373–388.

34 Max Weber basiert hier auf der Monographie von F. Schwally, Semitische Kriegsaltertümer, Band I: Der heilige Krieg im alten Israel, Leipzig 1901. Auch Friedrich Schwally spricht vom “Berserkertum” im frühen Israel.

35 Auch Werner Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911, 245, spricht vom israelitischen Bund als Vertrag: “Das Vertragsverhältnis wickelt sich nun in der Weise ab, daß dem Menschen die erfüllten Pflichten einzeln belohnt, die verabsäumten Pflichten einzeln durch Übles vergolten werden (ebenso die guten Werke): Belohnung und Bestrafung erfolgen teils in dieser Welt, teils im Jenseits. Aus diesem Sachverhältnis ergibt sich zweierlei mit Notwendigkeit: ein beständiges Abwägen des Vorteils oder Schadens, den eine Handlung oder Unterlassung bringen kann, und eine sehr verwickelte Buchführung, um das Forderungs- bzw. Schuldkonto des einzelnen in Ordnung zu halten.

36 Max Weber legt hier G. Hölscher, Die Profeten. Untersuchungen zur Religionsgeschichte Israels, Leipzig 1914, sowie H. Gunkel, Einleitungen. 2. Die geheimen Erfahrungen der Propheten in: H. Schmidt, Die großen Propheten, SAT 2/2, Göttingen 1915, XX-XXXVI, zugrunde

37 Auch C. H. Cornill (Der israelitische Prophetismus: In fünf Vorträgen für gebildete Laien geschildert, Straßburg 61906, 33) bezeichnet Propheten als “Demagogen”. Zum Demagogen siehe auch Max Webers Ausführungen in dem Vortrag “Politik als Beruf: “Der ‚Demagoge’ ist seit dem Verfassungsstaat und vollends seit der Demokratie der Typus des führenden Politikers im Okzident. Der unangenehme Beigeschmack des Wortes darf nicht vergessen lassen, daß nicht Kleon, sondern Perikles der erste war, der diesen Namen trug. Amtlos oder mit dem - im Gegensatz zu den durchs Los besetzten Ämtern der antiken Demokratie - einzigen Wahlamt: dem des Oberstrategen, betraut, leitete er die souveräne Ekklesia”. Siehe M. Weber, Politik als Beruf, in: ders., Wissenschaft als Beruf 1917/1919. Politik als Beruf 1919, hg. von W.J. Mommsen und W. Schluchter, MWG I/17, Tübingen 1992, (157-252) 191. Max Weber übernimmt nach Vorgaben der Alttestamentlichen Wissenschaft den Begriff des Demagogen als Bezeichnung für die hebräischen Propheten, da auch sie sich wie die Demagogen der hellenischen Antike durch ihr persönliches Charisma und die darin begründete Macht des Wortes eine Klientel von Anhängern schafften.

38 Max Weber rezipiert u.a. L. Wallis, Sociological Study of the Bible, Chicago 1912. Ernst Troeltsch hat dieser Studie, die er auch in seiner eigenen Veröffentlichung zur alttestamentlichen Prophetie (siehe E. Troeltsch, Das Ethos der hebräischen Propheten, Logos 6, 1916/17, 1-28) intensiv rezipiert hat, eine ausführliche Rezension in der ThLZ 38, 1913, 454–458, gewidmet. Siehe dazu E. Otto, Max Webers Studien (übingen 2002), 246–275 mit einem Wiederabdruck von Ernst Troeltschs Rezension von 1913.

39 Max Weber greift hier auf das Deponatsmanuskript “Ethik und Mythik/rituelle Absonderung” der Jahre 1911-1913 zurück; siehe E. Otto, Einleitung (MWG I/21), 60-65. Max Weber rezipiert damit vermittelt über das Deponatsmanuskript “Ethik und Mythik/rituelle Absonderung” die Monographie von Hermann Gunkel, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments, FRLANT 1, Göttingen 1903, 21-25 und Hugo Greßmann, Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie, FRLANT 6, Göttingen 1905 71-85. 141-155. Ähnlich auch J. Wellhausen, Geschichte (Berlin 61907) 110.

40 Der unspekulative Charakter der alttestamentlichen Prophetie verbindet für Max Weber diese mit dem ebenfalls der intellektuellen Spekulation auf den Sinn des Lebens abholden Puritanismus. So lehnt Max Weber eine rationalistische Interpretation der prophetischen Weissagungen als Schlussfolgerungen aus der zeitgenössischen biblischen Vergeltungslehre, wie sie Abraham Kuenen (Volksreligion und Weltreligion, Berlin 1883, 91ff.) vertritt, ab, ohne allerdings mit konservativen Exegeten wie Eduard König (Der Offenbarungsbegriff des Alten Testaments, 2 Bände, Leipzig 1882) dem Offenbarungsgedanken Raum zu geben. Vielmehr folgt Max Weber, wenn er von der “endogenen Ekstase” der Propheten spricht, einer mit dem Namen Bernhard Duhm (Die Theologie der Propheten als Grundlage für die innere Entwicklungsgeschichte der israelitischen Religion, Bonn 1875; ders., Israels Propheten, Lebensfragen 26, Tübingen 1916) verbundenen Richtung der Alttestamentlichen Wissenschaft, die von Ernst Troeltsch, der als Student bei Bernhard Duhm gehört hat und von ihm sehr beeindruckt war (siehe dazu E. Troeltsch, Zur theologischen Lage, ChW 12, 1898, 627-631. 650-657), wie auch von Hermann Gunkel aufgenommen wurde. Daß in Max Webers Propheteninterpretation auch Aspekte von William James' Pragmatismus eingeflossen sind, dessen Varieties of Religious Experience (1902) in der neukantianisches Gut eintragenden Übersetzung von G. Wobbermin (siehe W. James, Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Materialien zu einer Psychologie und Pathologie des religiösen Lebens, übers, von G. Wobbermin, Leipzig 1907) Max Weber bekannt war (siehe E. Baumgarten, Max Weber. Werk und Person, Tübingen 1964, 313 mit Anm. 1 zu Max Webers Handexemplar), wie auch vermittelt über die Monographie von Gustav Hölscher (Profeten [Leipzig 1914]) solche der Wundtschen Völkerpsychologie (siehe W. Wundt, Völkerpsychologie II: Mythos und Religion, Band I-III, Leipzig 1905-1908), sei nur angemerkt. Zu Max Webers Propheteninterpretation in Relation zu der Ernst Troeltschs und Hermann Cohens siehe E. Otto, Protestantismus und Judentum in Heidelberg. Die kulturhistorische Bedeutung des Judentums für die Moderne bei Max Weber und Ernst Troeltsch, in: W. Schluchter (Hg.), Asketischer Protestantismus und Geist des Kapitalismus. Max Weber und Ernst Troeltsch. Beiträge des Symposions “Die Protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus” 24.-26. März 2004 in Heidelberg (ersch. 2005).

41 Als “jüdische Frage” (cf. dazu H.S. Chamberlain, Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts, München 91909, 323-332) wurde vor und insbesondere auch während des Weltkriegs die Frage, wie sich die jüdische Religionsgemeinschaft in die national geprägte deutsche Kulturgemeinschaft integrieren ließe, verhandelt. Siehe dazu U. Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe, Berlin 2001 mit weiterer Literatur; E. Otto, Die hebräische Prophetie bei Max Weber, Ernst Troeltsch und Hermann Cohen. Ein Diskurs im Weltkrieg über die Idee einer christlichjüdischen Kultursynthese (erscheint 2005).

42 Der Autor des Berichts bezieht sich vor allem auf die populäre Monographie von A. (von) Harnack, Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Facultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin, Leipzig 1900. Zur Werkgeschichte und Interpretation siehe T. Rendtorff, Einleitung, in: A. von Harnack, Das Wesen des Christentums, Neuauflage Gütersloh 1999, 7-38, sowie zum werkgeschichtlichen Kontext ders., Adolf von Harnack und die Theologie. Vermittlung zwischen Religionskultur und Wissenschaftskultur, in: K. Nowack/O.G. Oexle (Hg.), Adolf von Harnack. Theologe, Historiker, Wissenschaftspolitiker, Göttingen 2001, 397-417. Zu Adolf von Harnacks Verhältnis zum Judentum und zum Alten Testament siehe W. Kinzig, Harnack, Marcion und das Judentum. Nebst einer kommentierenden Edition des Briefwechsels Adolf von Harnacks mit Houston Stewart Chamberlain, AKGTh 13, Leipzig 2004; F. Steck, Adolf Harnack: Marcion. Moderne Gläubige des 2. Jahrhunderts, der erste Reformator. Die Dorpater Preisschrift (1870), TU 149, Berlin 2003. Daß Adolf von Harnack die Hebräische Bibel für ein religionsgeschichtliches Dokument von herausgehobener Bedeutung hielt, bedarf keines besonderen Nachweises. Siehe nur seine Feststellung, daß die alttestamentliche Religionsgeschichte “den Schlüssel” zum Verständnis vieler allgemeiner religionsgeschichtlicher Probleme, die ohne sie ungelöst bleiben müssten biete; siehe A. Harnack, Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte, in: ders., Reden und Aufsätze, Gießen 1904, 2. 169. Zur Diskussionslage zwischen zeitgenössischer protestantischer Theologie insbesondere der Fächer des Alten und Neuen Testaments und der jüdischen Wissenschaft des Judentums siehe Chr. Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein Schrei ins Leere?, SWALBI 61, Tübingen 1999. Zum historischen Kontext siehe auch die Beiträge in W.E. Mosse/A. Paucker (Hg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-1914, SWALBI 33, Tübingen 1976.

43 Gegen Adolf von Harnacks “Wesen des Christentums” hat von jüdischer Seite vor allem Leo Baeck (Harnacks Vorlesung über das Wesen des Christentums, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 45, 1901, 97–120 [erweiterter Separatdruck Breslau 1902]) kritisch Stellung genommen

44 In seinem posthum unter der Überschrift “Die Pharisäer” veröffentlichten Manuskript zum pharisäischen und vor allem rabbinischen Judentum, das Max Weber während des Weltkriegs verfasst und noch kurz vor seinem Tode umfangreich erweitert hat (siehe E. Otto, Die Pharisäer [ZAR 8] 1-87) bemüht sich Max Weber konsequent um die Sistierung von Werturteilen, die ihm die Literatur der protestantischen Theologen in Bezug auf das Judentum vorgibt, gleichermaßen wie der jüdischen Literatur der Wissenschaft des Judentums, die er als Gegengewicht zur protestantischen Theologenliteratur intensiv rezipiert.

45 Max Webers Ausführungen berühren sich intensiv mit denen im §12 des erst posthum im Rahmen von Wirtschaft und Gesellschaft veröffentlichten Vorkriegsmanuskripts der “Religiösen Gemeinschaften”; siehe M. Weber, Religiöse Gemeinschaften (MWG I/22-2), 442–447.

46 Das deutet daraufhin, daß Max Weber Teile des Vortrags frei vorgetragen hat, was ihm angesichts der Tatsache, daß er seit dem späten Sommer 1916 intensiv an den Studien des antiken Judentums für das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik schreibt, kein Problem darstellen konnte. Ob er überhaupt ein ausgearbeitetes Manuskript seines Vortrages hatte oder, was für Max Weber nicht unüblich war, anhand einiger weniger Stichworte extemporierte, mag man fragen. Daß der Vortrag so ausführlich im “Jüdischen Echo” referiert und besprochen wurde, deutet darauf hin, daß unter der großen Schar der Zuhörer auch zahlreiche jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger waren.

47 Max Webers Studien des antiken Judentums sind von jüdischen Wissenschaftlern gewürdigt worden; siehe u.a. J. Guttmann, Max Webers Soziologie des antiken Judentums, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 69, 1925, 195-223 (wurde wieder abgedruckt in W. Schluchter [Hg.], Max Webers Studien des antiken Judentums. Interpretation und Kritik, stw 340, Frankfurt/Main 1981, 289-326).

48 Zwei Jahre nach diesem Vortrag werden Max und Marianne Weber zusammen mit 82 Heidelberger Bürgern folgende Erklärung gegen antisemitische Propaganda unterzeichnen und am 15. Januar 1919 in der Heidelberger Zeitung veröffentlichen: “Gegen unsere jüdischen Mitbürger wird in der gegenwärtigen Zeit der größten Not unseres Landes ein gehässiger Kampf geführt; offen oder versteckt wird ihnen die Ursache allen militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Unglücks, das über unser Vaterland hereingebrochen ist, zugeschrieben. Wir bekämpfen jegliches Unrecht, wo immer wir es finden. Aber wir wenden uns gegen Einseitigkeit und Verallgemeinerung und erheben deshalb Einspruch gegen diese den inneren Frieden und unser Ansehen im Ausland schädigende Bewegung”. Siehe dazu M. Weber, Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918-1920, hg. von W.J. Mommsen, MWG I/16, Tübingen 1988, 510-512. Zur Haltung Max Webers zum Judentum sind der Kondolenzbrief, den Max Weber nach dem Tod von Georg Jellinek an seine Witwe Camilla schrieb (siehe M. Weber, Briefe 1911-1912, hg. M.R. Lepsius und W.J. Mommsen, MWG II/7.1, Tübingen 1998, 37f.) sowie die Ansprache, die Max Weber wenig später anläßlich der Hochzeit von Georg Jellineks Tochter gehalten und dies zum Anlaß genommen hat seine Empathie für das Judentum mit bewegenden Worten auszudrücken, einschlägig. Die Ansprache hat Marianne Weber im Wortlaut der Biographie Max Webers aus ihrer Feder beigegeben; siehe Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild (1926), Tübingen 31984, 481-486. Zu Max Webers Einstellung zum Judentum und der in seiner weiteren Familie trägt Guenther Roth das einschlägige Material zusammen; siehe G. Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800-1950 mit Briefen und Dokumenten, Tübingen 2001, 459-473 mit weiterer Literatur.

49 Siehe dazu E. Otto, Die Applikation als Problem der politischen Hermeneutik, ZThK 71, 1974, 145–181.

50 Siehe dazu K.-M. Kodalle, Zur religionsphilosophischen Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas' “Theorie des kommunikativen Handelns”, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 12, 1987, 39–66

51 Das klingt in der zu dieser Zeit verfaßten Studie des antiken Judentums anders: “Die weltgeschichtliche Tragweite der jüdischen religiösen Entwicklung ist begründet vor allem durch die Schöpfung des ‚Alten Testaments’. Denn zu den wichtigsten geistigen Leistungen der paulinischen Mission gehört es, daß sie dies heilige Buch der Juden als ein heiliges Buch des Christentums in diese Religion hinüberrettete und dabei doch alle jene Züge der darin eingeschärften Ethik als nicht mehr verbindlieh, weil durch den christlichen Heiland außer Kraft gesetzt ausschied, welche gerade die charakteristische Sonderstellung der Juden: ihre Pariavolkslage, rituell verankerten”: Siehe M. Weber, Antikes Judentum (MWGI/21), 239.

52 Amherst College Library, Nl. Karl Loewenstein.

53 Bundes-Archiv Koblenz, Nl. Alfred Weber 197/77. Ich danke Herrn Kollegen Joachim Radkau für den Hinweis auf diesen Brief.

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